Die Pestärztin
werden, die sie zu Lucias Kemenate begleitete und davor auf sie warten sollte. Sie würde ihr keinen Augenblick mehr gönnen als das zugestandene Maß an Zeit.
Elisabeth saß vor dem Kamin und starrte ins Feuer. Genau so, wie Lucia sie bei ihrem letzten Treffen verlassen hatte. Aber die Frau, die jetzt langsam den Blick von den Flammen nahm und auf Lucia richtete, war nicht mehr die gleiche: Elisabeth war bleich und dermaßen mager, dass ihr Kleid um sie herum schlotterte. Ihr üppiges Haar war wirr und hatte jeden Glanz verloren. Sie trug es offen, nicht aufgesteckt wie eine erwachsene Frau. Ihre Augen schienen erloschen, gewannen aber etwas von ihrer alten Lebendigkeit zurück, als sie Lucia eintreten sah.
»Lucia, endlich! Wie geht es ihm?«
Elisabeths Stimme klang rau, fast tonlos. Eine Stimme, von der man tage-, vielleicht wochenlang keinen Gebrauch mehr gemacht hatte.
Die mageren Hände der Herzogin spielten fahrig mit einem Gebetbuch, das auf dem Tisch lag. Wahrscheinlich die einzige Lektüre, die man ihr erlaubte. Als Lucia näher kam, hob sie wie flehend die Hände. Lucia ergriff sie spontan, zog ihre Freundin daran hoch und nahm sie in die Arme.
»Elisabeth, ich freue mich so sehr, dich wiederzusehen! Und dein Ritter wird glücklich sein, von dir zu hören!«
Ein Lächeln huschte über Elisabeths eingefallenes Gesicht. »So lebt er und ist wohlauf? Man hat mich da im Ungewissen gelassen. Aber manchmal tuschelten die Wächter. Einer sagte einmal, man hätte ihn gehenkt ...«
Lucia schüttelte den Kopf. »Aber nein, er ist in Sicherheit. Doch lass uns nicht von ihm sprechen, wir haben nicht viel Zeit. Man hat mich nur zu dir gelassen, weil dein Vater ein Lebenszeichen verlangt. In einer Stunde muss ich gehen. Also rasch! Erzähl mir, warum du noch hier bist und nicht in einem Kloster! Wie geht es dir, und was machst du den ganzen Tag?«
Elisabeth lachte bitter. Dann ließ sie sich wieder auf ihrem Sessel nieder und bot auch Lucia Platz an. »Wein kann ich dir nicht kredenzen. Den verwehrt mein Gatte mir bis heute, auch wenn er mich nicht mehr bei Wasser und Brot darben lässt wie in den ersten Tagen.«
Lucia winkte ab. »Erzähl schon!«, sagte sie. »Ich brauche keinen Wein.«
Elisabeth lehnte sich in ihren Sessel. »So viel gibt es nicht zu erzählen. Das Meiste weißt du besser als ich. Die Anklage gegen mich ist unhaltbar, aber natürlich ist meine Schuld trotzdem erwiesen, und Stephan macht von seinem Recht Gebrauch, mich zu strafen ...«
»Aber warum schickt er dich dann nicht in ein Kloster?«, fragte Lucia.
Elisabeth biss sich auf die Lippen.
»Mein Gatte«, sagte sie dann, »hat gewisse Bedürfnisse wie jeder Mann, und du wirst mir sicher gleich vorhalten, er könnte sie auch mit einer Mätresse befriedigen. Nun - das könnte er zweifellos, aber es wäre nicht ohne Risiko. Frau Margarethe würde ihn überwachen, womöglich das Mädchen bestechen, ihn auszuhorchen. Und dazu ... Ein adeliges Mädchen, das Rechte hat, würde seine Art von Liebe nicht hinnehmen. Nein, Lucia, er wird mich nie in ein Kloster schicken - und erst recht nicht die Ehe auflösen lassen. Nichts könnte seinen Zwecken genehmer sein als der jetzige Zustand.«
Lucia sah Tränen über Elisabeths Wangen rinnen.
»Wenn ich das deinem Vater mitteilen lasse ... der Bote ist Dietmar von Thüringen. Er ist zweifellos auf unserer Seite ... « Lucia dachte angestrengt über eine Lösung nach.
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Du kannst ihm solche delikaten Details trotzdem nicht anvertrauen. Ich würde vor Scham vergehen. Und es würde auch nichts nutzen. Mein Vater könnte nichts für mich tun. Ich bin Stephans Gattin, und so wird es bleiben, bis der Tod uns scheidet. Lebendig jedenfalls werde ich diese Burg ganz sicher nie verlassen.«
Elisabeth vergrub das Gesicht in den Händen. Lucia ging zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter. Dabei überlegte sie fieberhaft. Es musste einen Ausweg geben! So konnte das Ganze nicht enden! Lucia dachte an all die Gefahren, die Elisabeth und sie schon gemeinsam ausgestanden hatten. Bernhard und Gunhild ... die Operation, die sie so geschickt vor den Nonnen geheim gehalten hatten ... schließlich Adrians Flucht.
Und plötzlich formte sich das alles zu einem irrwitzigen, aber naheliegenden Plan!
»In dem Fall«, erklärte Lucia, »musst du eben sterben!«
5
D as ist völliger Unsinn, Lucia, das lässt sich nicht machen!« Clemens von Treist schritt rastlos im Zimmer auf und
Weitere Kostenlose Bücher