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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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drehte. Er wirkte verschüchtert, beinahe panisch; aber Lucia führte das darauf zurück, dass ihm das Pesthaus wohl nicht geheuer war. Vielleicht machte ihm auch der Gedanke Angst, gleich mit der berühmt-berüchtigten Pestärztin zu sprechen. Lucia wusste inzwischen, dass die meisten Mainzer sie für eine garstige alte Vettel hielten. Besonders die Neuankömmlinge unter den Priestern und erst recht die Flagellanten und Judenschläger sprachen auch schon von »Hexe«. Der kleine Junge jedoch schien wieder Mut zu fassen, als er der blonden jungen Frau mit den wachen, hoffnungsvollen Augen gegenüberstand.
    »Herrin, ich bin Pferdeknecht bei den Speyers in der Schulstraße«, sagte er artig. »Mich schickt die Gevatterin Lea. Sie liegt in den Wehen, soll ich Euch sagen. Und sie verlangt nach Euch.«
 
    »Ihr werdet nicht gehen!« In ihrer verzweifelten Sorge schien Katrina bereit, Lucia am Saum ihres Kleides zurückzureißen. »Es gibt Unruhen, schon den ganzen Tag! Einer von den Helfern sagt, im Judenviertel würde gekämpft!«
    »Unsinn! Der Kleine ist doch auch durchgekommen!«, argumentierte Lucia und wies auf den Jungen. »Was ist los im Judenviertel, Kind? Gibt es Schwierigkeiten?« Sie sah den kleinen Boten aufmerksam an, der sich unter ihrem Blick etwas zu winden schien.
    »Im Judenviertel nicht«, gab er schließlich Auskunft. »Aber hier um die Ecke gibt's Krawalle. Sie haben einen Mann aufgehängt, der von sich sagte, Ihr hättet ihn von der Pest geheilt. Das gehe nicht mit Gott zu, sagen die Geißler, er müsse einer Hexe beigelegen haben. Und dann sei auch Euer Gatte plötzlich verschwunden. Sie sagen, dass er mit dem Teufel spricht ...« Der Kleine erzählte zögernd. Zweifellos hatte er sich beim Lynchen des Pestopfers länger aufgehalten, als es für einen Eilboten ziemlich war.
    Lucias Gesicht lief rot an. »Sie haben was getan? Einen unserer Geheilten getötet? Ich werde ...«
    »Du wirst gar nichts, Tochter!« Soeben erschien Bruder Caspar hinter dem Jungen. Der Mönch näherte sich im Laufschritt. Er hatte eine Schenke aufsuchen wollen, um neuen Wein zu holen, und war dabei wohl auf den Mob gestoßen. »Geh rauf in den obersten Stock, tu deine Arbeit, und lass dich nicht sehen! Diese Kerle übernehme ich!«
    »Ihr allein, Bruder?«, fragte Lucia zwischen Spott und Verzweiflung. »Gegen eine ganze Horde von Geißlern und Judenschlägern? Da würdet Ihr wohl ein Schwert brauchen.«
    Bruder Caspar funkelte sie an und band seine Kutte hoch, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. »Dein Mann, Lucia, trug ein gutes Schwert. Wenn du erlaubst, werde ich es mir borgen. Gott möge mir verzeihen, aber diesmal führe ich es vielleicht wirklich in seinem Namen. Also sei guten Mutes, Lucia, aber geh hinauf! Du auch, Katrin!«
    Katrina folgte gehorsam seinen Worten, aber Lucia ging der Gedanke an Lea nicht aus dem Kopf. Im Judenviertel war es ruhig, hatte der Junge gesagt. Ruhiger als hier. Warum sollte sie der Freundin also nicht Beistand leisten?
    Während Bruder Caspar, das Schwert, die Bibel, ein Kreuz und seine Empörung wie ein Schild vor sich her tragend, vor der Tür zum Pesthaus Aufstellung nahm, entwischte sie durch die Hofeinfahrt. Der Mantel mit dem Judenring hing noch in der alten Werkstatt. Lucia warf ihn in fliegender Eile über. Der kleine Junge war allerdings nicht mehr zu sehen. Aber egal, sie kannte schließlich den Weg.
    Wenn es ihr nur gelang, den Mob zu umgehen, der sich jetzt womöglich gegen das Pesthaus formierte! Lucia konnte immer noch nicht glauben, dass wirklich einer ihrer Patienten Ausschreitungen zum Opfer gefallen sein sollte. Wenn das stimmte, würde sie vor dem Magistrat und dem Erzbischof Klage erheben müssen. Wobei sie keine größeren Befürchtungen hegte. Sie wollte sich den Beschuldigungen der Priester und Fanatiker gern stellen. Jeder konnte in ihr Haus kommen und sehen, dass hier in jedem Zimmer ein Kruzifix hing und der Teufel gewiss keinen Eingang fand. Den besonnenen Bischof würde allein Bruder Caspars Anwesenheit im Haus beruhigen, und er würde ihr auch keinen Kutte tragenden Dummkopf als Inquisitor schicken.
    Was ihr mehr Sorgen machte, war die Mainzer Bürgerschaft. Aber die Leute konnten doch wohl nicht so verrückt sein, diesen wandernden Unruhestiftern, Flagellanten und Judenschlägern mehr Glauben zu schenken als rechtschaffenen Menschen, die ihre kranken Mitbürger pflegten!
 
    Lucia kämpfte ihr Unbehagen nieder und versuchte, sich ganz auf Lea und die

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