Die Pestglocke
Miss Bowe?« Eine stockende männliche Stimme. Höflich.
»Illaun Bowe, ja. Mit wem spreche ich?«, sagte ich mit vollem Mund, da ich gerade von einem Apfel abgebissen hatte.
Ich hatte soeben die Sechs-Uhr-Nachrichten angesehen und mich bemüht, nicht an Essen zu denken, als das Telefon läutete. Freitagmorgen war ich nämlich zu dem Schluss gelangt, dass ich um die Hüfte zu rund wurde. Das Picknick vorhin mit Fran zählte deshalb als meine Hauptmahlzeit.
»Ronald Davison, Pfarrer von St. Patrick, Castleboyne. Ich glaube, wir sind uns schon ein paarmal begegnet.«
Die Gotteshäuser sowohl der katholischen wie der anglikanischen Kirche waren Irlands Nationalheiligem geweiht.
Ich würgte rasch einen Teil der Frucht hinunter, ehe ich antwortete. »Ja, das stimmt. Was kann ich für Sie tun, Herr Pfarrer?«
»Es geht um diese Statue, die Sie gefunden haben. Der Grund, warum ich anrufe, ist, dass Hochwürden Burke behauptet, es handle sich um die Muttergottes von Castleboyne.«
Ich schluckte den Rest des Apfels. »Das können wir eigentlich noch nicht sagen.«
»Hm. Jedenfalls, wenn es sich bestätigt, hätten wir sie natürlich gern zurück.«
»Zurück?« Ich stieß das Wort hervor, als hätte ich einen Schlag in den Magen bekommen.
»Ja. Die Statue wurde nämlich 1538 aus der Marienabtei gerettet und erhielt hier Obdach. Nicht alle Leute waren mit der Zerstörungswut Heinrichs VIII. einverstanden, selbst wenn sie ihn als Oberhaupt der anglikanischen Kirche anerkannten.«
Ganz ruhig, Illaun, hier wird nur gerade ein Albtraum wahr.
»Und was ist, Ihrer Version zufolge, anschließend mit ihr passiert?«
»Nun ja. Wir durften natürlich nicht zugeben, dass wir sie hatten. Die Katholiken hätten wahrscheinlich versucht, sie zurückzubekommen. Manche Mitglieder unserer eigenen Gemeinde hätten eventuell alles missverstanden und ihre Anwesenheit verurteilt. Also nahm sie einer meiner Vorgänger mit nach Hause und verbarg sie auf dem Dachboden seines Hauses.«
»Wo sie von Soldaten Cromwells gefunden und als Feuerholz verwendet wurde.«
»Das hat man uns weisgemacht. Aber es hielt sich hartnäckig das Gerücht, sie habe überlebt und sei von einigen unserer Gemeindemitglieder versteckt worden. Die Tatsache, dass sie nun in einem alten Friedhof aufgetaucht ist, scheint die Wahrheit des Gerüchts zu bestätigen. Deshalb glaube ich, wir können ohne Weiteres Anspruch auf sie erheben. Und da in vierzehn Tagen die Kulturerbewoche in Castleboyne beginnt, wäre sie die ideale Hauptattraktion einer Ausstellung hier in der Kirche.«
Es war schon erstaunlich. Als wären Themen, die vor Hunderten von Jahren für religiösen Aufruhr gesorgt hatten, mit der Statue wiederauferstanden.
»Verzeihen Sie meine Unwissenheit«, sagte ich und sah für einen Moment über die Absurdität der Situation hinweg, »aber gibt es nicht Angehörige Ihrer Konfession, denen noch immer äußerst unwohl dabei wäre, eine Statue der Jungfrau Maria in ihrer Kirche zu haben?«
»Möglicherweise. Aber wir sind nicht so radikal wie manche anderen reformierten Kirchen, was die Verwendung religiöser Bildnisse betrifft, Maria eingeschlossen. Ich kann mir sogar denken, dass die Statue eine Rolle für die Ökumene hier in der Gemeinde spielen könnte, so wie der Schrein der Muttergottes von Walsingham in England ein Zentrum der Versöhnung zwischen anglikanischen, römischkatholischen und orthodoxen Christen wurde.«
»Wie dem auch sei, selbst wenn es sich um das Bildnis von Castleboyne handelt, liegt das Schicksal der Statue leider nicht in meiner Hand. Das Nationalmuseum ist für Funde dieser Art zuständig, und dort ist man entschlossen, sie nicht aus den Händen zu geben.«
»Nun, darum werden wir uns dann eben kümmern müssen. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.«
Ich legte das Telefon weg und griff wieder zum Apfel. Ich kaute gerade auf einem neuen Bissen und dachte über das eben Gehörte nach, als es erneut läutete. Diesmal schluckte ich runter, ehe ich mich meldete.
Es war Cora Gavin, die vom Krankenhaus aus anrief. »Zuerst die gute Nachricht«, sagte sie. »Terry Johnstons Blut ist negativ für Yersinia pestis. Anders ausgedrückt, er hat nicht die Beulenpest. Wir schicken ihn deshalb auch nicht ins Beaumont.«
»Und die schlechte Nachricht?«
»Er leidet unter multiplen Störungen, die ihn erheblich geschwächt haben, darunter Durchfall und eine akute Lungenentzündung in Verbindung mit schwerer Hämoptyse – sprich, er spuckt
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