Die Pestmagd
durchaus launisch reagieren, das war ihr aufgefallen, ein großer, asketisch wirkender Mönch, wie gebeugt unter der Last seines Amtes. Severin war gut mit ihm ausgekommen, wie er ihr immer wieder versichert hatte, und es war ihm offenbar sogar gelungen, dem Abt hin und wieder ein Lachen abzuringen. In ihrer heutigen Verfassung rechnete Johanna sich keine großen Chancen aus, dieses Kunststück ebenfalls zu bewerkstelligen. Sie beschloss, freundlich und besonnen aufzutreten, eine Frau, die des Vertrauens würdig war, Geschäfte mit ihr zu machen.
Der Pfortenbruder erkannte sie gleich wieder und schenkte ihr ein scheues Lächeln, was Johanna als gutes Zeichen deutete. Er ließ sie ein und bat sie, nebenan in einem kleinen, weiß gekalkten Raum zu warten, der für Besucher diente.
Schneller als gedacht erschien Abt Pirmin, die Stirn gerunzelt, das hagere Gesicht unwillig verzogen, als habe sie ihn gerade bei etwas Wichtigem gestört.
» Ich weiß, Ihr habt zu tun, ehrwürdiger Vater«, begann sie höflich, » und will Euch daher auch gar nicht lange behelligen. Aber der Wein, den mein Mann und ich von Euch bezogen haben, geht zur Neige, und da musste ich einfach …«
Eine abrupte Geste ließ Johanna verstummen.
» Ihr habt Euch umsonst hierher bemüht, Witwe Arnheim«, sagte der Abt barsch. Sein Blick glitt an ihr entlang, und er war alles andere als freundlich. » Ich darf doch wohl annehmen, dass Ihr das noch immer seid.«
Das Kleid! Sie hatte den Fehler begangen, nicht wie beim letzten Mal in Tiefschwarz aufzutauchen. Besonders ihr sommerlicher Ausschnitt schien ihn zu irritieren. Hätte sie nicht besser ein Brusttuch umlegen sollen, um seine Augen nicht in Versuchung zu führen?
» Die Hitze«, sagte Johanna entschuldigend, ärgerte sich aber im gleichen Augenblick, dass sie sich vor ihm rechtfertigte. Die Trauerzeit war vorüber. Niemand durfte ihr weitere Vorschriften machen. » Dieser Sommer bringt uns alle noch um. Doch dem Wein wird er guttun, nicht wahr? Vermutlich wird die neue Ernte süffiger ausfallen denn je.«
» Ihr kommt gleich auf den Punkt, das soll mir recht sein.«
Die dünnen Finger des Abts, die er ineinander verschränkte, waren tintenbraun, wie sie es von Severin kannte, wenn er lange über seiner Buchhaltung gebrütet hatte. Ob Pirmin die halbe Nacht durchgeschrieben hatte? Vielleicht fehlte ihm ja ausreichend Schlaf, und er war deshalb verstimmt.
» Wir erwarten nur eine geringe Ernte«, fuhr der Abt in gereiztem Ton fort. » Hoch in der Qualität, falls der Allmächtige uns gnädig gestimmt ist, doch karg im Ertrag. Wie dem auch sei, was das Kloster nicht selbst benötigt, geht direkt an den erzbischöflichen Hof – jeder einzelne Tropfen.«
Johanna brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu fassen.
» Soll das heißen, dass Ihr mir nichts von der neuen Ernte verkaufen werdet?«, fragte sie ungläubig.
Grimmiges Nicken. Mehr gab es offenbar für ihn nicht dazu zu sagen.
Fieberhaft begann sie zu überlegen.
Die letzten Tage des Augusts waren angebrochen, was bedeutete, dass die Weinlese bevorstand. Wie sollte sie es da noch anstellen, mit anderen Klöstern ins Geschäft zu kommen, die Weingärten in und um Köln besaßen? Die Weißen Frauen am Blaubach beispielsweise, die Kartäusermönche unterhalb der Ulrepforte oder die Benediktiner von St. Pantaleon? Sicherlich konnten sie alle auf bewährte Abnehmer zurückgreifen, denn Johannas Weinhandel war ja nur einer unter vielen in Köln. Doch die meisten Konvente hatten Severin vermutlich gekannt, dessen Kunst auch jenseits der Mauern Kölns verehrt und bestaunt wurde. Vielleicht würde der Name des verstorbenen Glasmalers Türen und Herzen öffnen. Bis dahin konnte sie die Kunden auf die neue Lieferung vertrösten, vorausgesetzt, sie sprangen ihr einstweilen nicht ab.
» Dann seid so gut und lasst den braven Schröter Helmroth ganz schnell drei mittelgroße Fässer anliefern«, sagte sie mit bemühtem Lächeln. » Damit mir meine Kunden nicht untreu werden.«
Pirmins starre Miene verriet nichts Gutes.
» Habt Ihr denn nicht verstanden?«, bellte er. » Es gibt keinen Wein vom Kloster St. Heribert mehr, weder jetzt noch künftig. So und nicht anders hat Seine Exzellenz entschieden. Und jetzt entschuldigt mich. Wichtige Pflichten ru fen.«
Mit großen Schritten verließ er den Raum und ließ Johanna, die ihm stumm nachstarrte, in einer eigentümlichen Mischung aus Ohnmacht und jäh aufsteigendem Zorn zurück.
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Sie hatte alle
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