Die Pestmagd
drehte, erkannte sie, dass er zu der jüdischen Gemeinde gehören musste, die auf der anderen Rheinseite eine neue Heimat gefunden hatte.
Sie nickte kurz zurück, noch immer im Bann des erschreckenden Fundes.
» Ihr seid doch die Witwe Arnheim«, hörte sie den Mann sagen, als der Nachen abgelegt hatte. » Ich kannte Euren Mann. Wie sehr muss es Euch schmerzen, ihn schon so früh zu verlieren!«
Erstaunt sah sie ihn an.
Er war jünger, als sie im ersten Moment gedacht hatte. Der lange dunkle Bart hatte sie zunächst in die Irre geführt.
» Ich habe Euch zusammen gesehen«, fuhr er fort. » Auf dem Fischmarkt. Ganz verliebt hat er Euch an sich gedrückt, als wollte er Euch niemals wieder loslassen. Da wusste ich, dass Ihr seine Frau sein müsst.«
» Ihr habt Geschäfte mit Severin gemacht?«, fragte Johanna. Kein Wort hatte ihr Mann je über einen Juden aus Deutz verloren, aber wie sie nach seinem Tod hatte erkennen müssen, hatte er offenbar so manches für sich behalten. Ob es noch weitere Außenstände gab, von denen sie nichts wusste? Plötzlich wäre es ihr lieber gewesen, statt des Wassers festen Boden unter den Füßen zu wissen.
Ihrem wachsamen Gegenüber war die plötzliche Abwehr nicht entgangen.
» Einige Male«, sagte er mit feinem Lächeln. » Und keiner von uns musste dabei den Kürzeren ziehen. Eines davon tragt Ihr gerade am Leib, das schönste lichtblaue Leinen, das Mendel ben Baruch wohl jemals in seinem Lager hatte. Euer Mann hat wahrlich eine gute Wahl getroffen!«
Scham stieg in ihr auf. » Es tut mir leid«, sagte sie. » Ich wollte Euch nicht kränken. Es ist nur, dass mich gerade etwas bis ins Mark erschreckt hat …« Sie verstummte.
» Der Tote vom Buttermarkt«, flüsterte Mendel und lugte zum Ruderer, den ihre leise Unterhaltung jedoch nicht zu interessieren schien. » Ihr habt ihn also auch gesehen?«
Sie nickte.
» Deshalb seid Ihr so bleich«, fuhr er fort. » Wahrlich kein schöner Anblick, da kann ich Euch nur beipflichten.«
» Für einen Moment dachte ich …« Sie schwieg erneut. Wie kam sie dazu, einen Fremden in ihre schlimmsten Befürchtungen einzuweihen?
Mendel hatte sich erhoben und streckte ihr die Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.
» Wir sollten beten, dass Ihr nicht recht behaltet.« Seine Stimme war nur noch ein Wispern. » Sonst geht aufs Neue die große Angst in meinem Volk um, jetzt, wo wir gerade ein wenig zur Ruhe gekommen sind.«
» Was meint Ihr damit?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Diese hässlichen alten Geschichten über vergiftete Brunnen und geschändete Hostien machten nicht nur in winterlichen Spinnstuben noch immer die Runde, auch wenn Johanna sie nie gern gehört hatte. Aber sie sah plötzlich vor sich, wie die Augen derer geglitzert hatten, die das Ausmalen dieser Schandtaten bis in alle Einzelheiten genossen, und sie sah das Zucken der Münder, die geifernd Rache und härteste Strafen forderten.
» Damals hat es unsere Gemeinde nicht weniger schwer getroffen als die Christen. Aber wie viele unschuldige Juden mussten ihr Leben lassen, nur weil man Sündenböcke für das Unfassbare gesucht hat«, sagte er. » So viele wurden getötet, und die anderen hat man vertrieben. Meint Ihr, die Menschen hätten sich von Grund auf geändert? Ich fürchte, diese Hoffnung kann ich nicht mit Euch teilen.«
Johanna raffte ihren Rock und sprang ans Ufer. Mendel folgte ihr. Der vorgeschriebene Hut saß inzwischen wieder korrekt auf seinem Kopf.
» Ihr wollt zum Kloster.« Keine Frage, wie sie am Tonfall erkannte, sondern eine Feststellung.
» Könnt Ihr Gedanken lesen?« Sie drehte sich zu ihm um.
Die Spur eines Lächelns.
» Wo denkt Ihr hin! Ich bin nur Eurem Mann auf dem gleichen Weg begegnet. So sind wir überhaupt ins Gespräch gekommen. Das Kloster steht unter der Verwaltung des Erzbischofs, der in guten Zeiten stets schützend die Hand über seine Juden gehalten hat.«
» Aber jetzt sind doch gute Zeiten«, entfuhr es Johanna, obwohl ihr Gefühl gerade etwas ganz anderes sagte.
» Dann lasst uns beten, dass sie noch lange anhalten mögen!« Mendel ben Baruch zog seinen Hut und bog nach links ab, zu der kleinen Siedlung, die sich ans Rheinufer schmiegte.
Noch nachdenklicher als zuvor setzte Johanna ihren Weg fort, und jetzt bereute sie es, so überstürzt aufgebrochen zu sein. Wäre es nicht ratsamer gewesen, Abt Pirmin eine Botschaft zukommen zu lassen, um ihren Besuch anzukündigen?
Er konnte
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