Die Pestmagd
spielerisch durch die Finger gleiten.
» Verwandt? Keineswegs.« Sie hüstelte. » Ich kenne sie lediglich von früher, das ist alles.« Sie hüstelte abermals. » Bin übrigens durchaus interessiert an Schelmbein und Armesünderfett. Bevor Ihr die Knochen oder die kostbare Schmiere an irgendwelche Gauner verschleudert, verkauft sie lieber an mich! Ich bezahle ordentlich und weiß wenigstens, was man damit anfangen kann.«
Sie hatte sein Interesse erregt, das erkannte sie daran, dass er mehrmals aufschaute.
» Eine Münze ist immer sehr allein«, sagte er schließlich. » Zwei fühlen sich miteinander schon bedeutend wohler. Aber erst wenn sie zu dritt sind, kommt Stimmung auf.«
» Ich werde Euch gewiss nicht enttäuschen.« Ita ließ kurz die zweite Münze aufblitzen. » Sobald meine Töpfchen voll sind, erhaltet Ihr den Rest. Aber enttäuscht mich nicht! Wann werdet Ihr die Witwe Arnheim hängen?«
» Vorerst gar nicht.« Er griff so schnell nach dem Geld, dass sie es nicht mehr zurückziehen konnte.
» Was könnte Euch daran hindern?«, fragte sie ungläubig, weil sie die unerwartete Nachricht erst verdauen musste.
» Das Vögelchen ist ausgeflogen.«
» Geflohen?« Itas Stimme zitterte leicht, während Hennes hörbar nach Luft rang. » Aus dem Kerker? Wie kann das sein?«
Der Scharfrichter schüttelte langsam den Kopf.
» Dann hat man sie freigelassen? Aber sie gilt doch als schuldig!«, fuhr Ita fort.
» Von einem Freispruch war nicht die Rede.«
» Diese Hexe darf nicht entkommen!«, schrie Hennes aufgebracht, der auf einmal kein Halten mehr zu kennen schien und sich vordrängte, obwohl Ita es ihm streng untersagt hatte. » Sie hat meinen Bruder auf dem Gewissen und wird seelenruhig weitermorden, das ist mehr als sicher. Vielleicht bin ja ich der Nächste!«
» Seid unbesorgt.« Der Scharfrichter deutete auf die Gehängte, die im Wind schaukelte. Die Raben hatten wieder ihren Platz vom Morgen eingenommen. Wie schwarze Steinfiguren saßen sie auf dem Galgen. » Die da fährt vermutlich gerade zur Hölle. Johanna Arnheim ist dort bereits angelangt.«
» Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Ita. » So werdet doch endlich deutlicher!«
» Man hat sie ins Pesthaus verbannt. Dort muss sie schuften, bis die Seuche vorbei ist.« Sein Blick war ausdruckslos. » Wisst Ihr eigentlich, wie viele jetzt Tag für Tag daran krepieren? Das überlebt niemand lange. Nicht einmal eine, die am liebsten mit dem Teufel zum Tanzen geht.«
x
In Gedanken hatte Johanna wie Lenne die Gerichtsglocke gehört, die zu bimmeln begann, sobald ein Todesurteil verkündet wurde. In Gedanken war sie gefesselt zusammen mit ihr zum blauen Stein auf dem erzbischöflichen Hof geschlurft, an den alle Todeskandidaten dreimal mit dem Rücken gestoßen wurden, als Zeichen der hochrichterlichen Gewalt, die der geistliche Stadtherr besaß. In Gedanken hatte sie neben ihr den Henkerskarren bestiegen, der Lenne in einer letzten Prozession von ihrem Haus in der Sternengasse, wo die Nachbarn Zeugen ihrer Schmach werden sollten, über die Hohe Gasse und Ehrengasse führte, bis sie schließlich Seite an Seite das Ehrentor erreicht hatten. Sobald der Rabenstein in Sicht kam, verschwammen Johannas Bilder.
Sie konnte und wollte sich nicht die Einzelheiten vorstellen, wie Lenne der Strick um den Hals gelegt wurde und man sie zwang, die kurze Leiter hinauf zum Galgen zu steigen. Aber sie fühlte deren Todesangst im eigenen Körper und wachte schreiend auf, weil sie das Gefühl hatte, ihr Hals werde unbarmherzig von einem dicken Seil zusammengepresst.
Hatte Lenne es trotz allem nicht besser getroffen als sie selbst, die hier lebendig begraben war? Johanna hasste das Pesthaus, das unter der Pacht von Ludwig Weißenburg stand.
Und sie hasste Vincent dafür, dass er sie hierher gebracht hatte.
Die harte Arbeit erschöpfte sie schon nach wenigen Tagen. Am liebsten hätte sie sich zu einer Kugel zusammengerollt, wie sie es als Kind manchmal getan hatte, bis all das Schreckliche vorüber war. Doch das Schreckliche ging nicht vorüber, sondern nahm im Gegenteil zu, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Die Seuche hatte sich in der ganzen Stadt ausgebreitet. Wie eine hässliche Bestie hielt sie Köln mit Zähnen und Klauen gefangen. Inzwischen gab es im Pesthaus keine freie Pritsche mehr, obwohl so viele dahingerafft wurden, denn kaum wurde ein Toter hinausgetragen, flehten schon die nächsten frisch Erkrankten um Einlass. Manchmal fanden sie in den ersten
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