Die Pestmagd
Morgenstunden einen Sterbenden vor der Schwelle, den jemand im Schutz der Nacht dort abgelegt hatte.
Es schien keine Freundschaft mehr zu geben, keine Familienbande.
Die Räder der Pestkarren, die die Toten holten, waren nicht mehr mit Lumpen umwickelt. Inzwischen war ihr Knarren und Rumpeln in den Gassen Tag und Nacht zu hören. Längst wurden die Bretter knapp, die man für ordentliche Särge brauchte. Leichen wurden in schmutzige Tücher gewickelt und bestenfalls mit einem hastigen Kreuzzeichen in eilig aufgeworfenen Gruben versenkt.
In diesen dunklen Wochen stellte das Pesthaus zur roten Pforte für viele die letzte Hoffnung dar, eine trügerische Hoffnung freilich, denn obwohl alle arbeiteten, bis ihre Rücken krumm waren und ihre Hände von Seifenlauge brannten, kamen sie gegen das Sterben nicht an. Zwei weitere Frauen waren als Pestmägde gedungen, um die Kranken zu waschen, zu betten und zu füttern. Tag für Tag räucherten sie die Räume mit Wacholderholz aus, obwohl sie den Glauben an dessen Wirksamkeit mehr und mehr verloren.
Eine der Pestmägde war die Schwarze Marusch aus dem Haus am Berlich, die wiederholt Freier bestohlen hatte. Sie war aufgeflogen und vor die Wahl gestellt worden, zur Strafe im Pesthaus zu dienen oder die rechte Hand zu verlieren. Ihre einstmals rabenschwarzen Haare waren inzwischen gräulich und matt, die üppigen Hüften kindlich schmal geworden, weil sie keine Zeit zum Kämmen mehr hatte und vor Ekel oft keinen Bissen hinunterbekam. Die zweite hieß Grit, stammte aus Andernach und war ein wenig schwer von Begriff, was bedeutete, dass sie vieles missverstand oder schlichtweg vergaß. Staunend sah sie dabei zu, wie sich direkt vor ihren Füßen kleinere und größere Missgeschicke zutrugen, die dann andere für sie beseitigen mussten. Auch sie war beim Stehlen aufgegriffen worden. Sie hatte sich damit mühsam über Wasser gehalten, seit ihr Mann verstorben war. Man hatte sie eingesperrt und wieder freigelassen, worauf sie abermals ertappt wurde. Sie trank gern, und manchmal überkam Johanna der Verdacht, die vielen Humpen Wein, die sie im Lauf ihres Lebens in sich hineingeschüttet haben mochte, hätten ihr Gehirn vernebelt und den Verstand schrumpfen lassen.
Tröstlich dagegen war, dass Sabeth wieder in Johannas Nähe war. Sie war ihr ins Pesthaus gefolgt, obwohl Vincent ihr einen Platz bei sich angeboten hatte.
» Wo Johanna ist, da ist auch Sabeth«, hatte sie gemurmelt. » Eine nie ohne die andere!«
Und tatsächlich begann ihr Aufenthalt im Haus zur roten Pforte mit einer erfreulichen Reihe klarer Tage. Zusammen mit Mieze, die hier ebenfalls heimisch wurde, ging Sabeth von Pritsche zu Pritsche, tupfte die Fiebernden mit Tüchern ab, die sie mit kühlem Wasser getränkt hatte, summte ihnen kleine Lieder vor oder saß einfach neben ihnen und hielt ihre Hand.
Johannas Aufforderung, Handschuhe zu tragen oder eine Maske aufzusetzen, quittierte sie mit einem lauten, spröden Lachen.
» Wenn der liebe Gott mich will, holt er mich so oder so zu sich. Ich warte jeden Tag darauf, weißt du das eigentlich?«
Marusch und Grit dagegen befürchteten ständig, sich anzustecken, schüttelten sich vor Abscheu, wenn sie die Laken der Kranken wechseln mussten, und hatten tausenderlei Ausreden parat, um so heikle Tätigkeiten wie das Verbinden oder das Ausleeren der Pisstöpfe an Johanna abzuschieben. Zwar befolgten sie zähneknirschend, was der Bader ihnen eingeschärft hatte, benutzten Handschuhe und Masken, aber nur widerwillig und eher nachlässig. Anfangs war Ludwig noch jeden Tag ins Pesthaus gekommen, doch jetzt, da die Niederkunft seiner Frau nahte, ließ er sich seltener sehen. Nicht einmal die Nahrungsmittel brachte er selbst vorbei, sondern ließ sie von einem Knecht anliefern.
Manchmal dachte Johanna, es habe vor allem mit ihr zu tun. Sein Erschrecken, als die Büttel sie im Pesthaus abgeliefert hatten, war echt gewesen. Er schien sich zu schämen, etwas eingerichtet zu haben, das ihr nun zum Verhängnis wurde.
» Dass ich dich hier sehen muss, Johanna! Niemals hätte ich damit gerechnet.« Als er die Maske abnahm, stand ihm das Entsetzen über ihren geschorenen Kopf, die dunklen Augenschatten und die abgemagerte Gestalt überdeutlich ins Gesicht geschrieben. » Was haben sie dir nur angetan?«
Es half ihr, dass sie das alte Halsband wieder angelegt hatte, auch wenn der Samt inzwischen abgeschabt und räudig geworden war. Es zu berühren war wie eine Erinnerung an ihr
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