Die Pestmagd
sehr wehtun«, sagte er zu dem Jungen und reichte ihm ein zusammengedrehtes Tuch. » Darauf solltest du gefasst sein. Beiß fest hinein, wenn du es nicht mehr aushältst! Nicht anders hat deine Mutter es gemacht, als sie dich zur Welt brachte.«
Er beträufelte die dritte Beule mit Essigwasser, dann setzte er das Messer an und schnitt.
Ein dumpfer Ton kam aus Anderls Kehle, der nur noch wenig Menschliches hatte. Das Gesicht des Jungen wurde aschfahl. Er ließ das Tuch fallen und klammerte sich an Johanna.
Der Eiter, der aus dieser Beule floss, war dunkelgrün, zäh und stank noch widerlicher.
» Jetzt hast du es erst einmal geschafft«, sagte Vincent, während Johanna behutsam die Wunde säuberte. » Zweimal am Tag müssen die Verbände gewechselt werden. Gebt ihm Hühnersuppe, das wird ihn kräftigen! Ich sehe morgen wieder nach ihm.«
» Muss ich jetzt nicht sterben?«, krächzte der Junge.
» Wer so tapfer ist wie du, hat einen besonders tüchtigen Schutzengel«, sagte Vincent. » Bete zu ihm, dass er dich weiterhin so gut beschützt!«
» Wird er überleben?«, fragte Johanna, als sie das Krankenzimmer verlassen hatten. Das verschmutzte Essigwasser goss sie vor der Türe aus. Die Tücher mit dem Eiter und Blut warf sie auf den Wäschehaufen, den sie in einem gesonderten Verschlag verwahrten.
» Wenn die Wunde sich nicht neu infiziert, wenn er wieder zu Kräften kommt, wenn jemand sich seiner annimmt …« Vincents Stimme klang plötzlich müde. » Es gibt so viele unbekannte Wenns! Die Seuche ist listig und stark – und wir sind noch immer unwissend und schwach.« Er klopfte gegen den Verschlag. » Was geschieht mit der Pestwäsche?«
» Wird verbrannt«, sagte Johanna. » Sobald genug davon zusammengekommen ist. Schätze, auch das wird an mir hängen bleiben, weil Marusch sich dafür zu fein ist und bei Grit zu befürchten stünde, dass sie uns aus Schusseligkeit das Haus über dem Kopf anzündet.«
» Vielleicht wird es irgendwann einmal anders sein. Doch bis dahin bleiben wir die Verlierer.« Er griff nach seiner Tasche. » Ich muss weiter. Auch in der erzbischöflichen Küche soll jemand schwer erkrankt sein.«
Sie blieb am Fenster stehen, während er in den Abend hinausging, mit wehendem Mantel und großen, ungeduldigen Schritten, die ihn immer weiter von ihr entfernten.
x
Sie hatten die Krähe dazu bestimmt, die Wäsche ins Baderhaus zu bringen, doch er hatte davon nichts wissen wollen. Ruch war wütend geworden und hatte ihn dazu zwingen wollen, doch die Krähe war einfach aufgesprungen und weggerannt, um sich bis zum nächsten Morgen irgendwo zu verstecken. War er immer schon unstet und sprunghaft gewesen, so waren seine Stimmungsschwankungen seit der Hinrichtung noch extremer geworden. Stundenlang saß er grübelnd am Feuer, stumm, tief in Gedanken versunken. Dann wieder schüttete er das Bier krügeweise in sich hinein, grölte und krakeelte, bis man ihn irgendwann betrunken wegschleifen musste.
Für die Einbrüche in die Pesthäuser war er so gut wie gar nicht mehr zu gebrauchen, so ungelenk und plump, wie er sich dabei anstellte. Manchmal war Christian schon der Gedanke gekommen, die Krähe lege es regelrecht darauf an, dass sie ihn zurückließen, damit er ungestört eigene Wege gehen konnte.
Einzig und allein Nele schien einen Zugang zu ihm zu haben. Dass sie sie wieder eingesperrt hatten, um sie endlich gesprächig zu machen, brachte die Krähe derart in Rage, dass er beinahe die Tür eingetreten hätte. Sie ließen ihn kurz zu ihr, hielten aber zu zweit vor dem alten Badehaus Wache, damit er auf keine Dummheiten verfiel. Als sie ihn schließlich wieder von ihr wegzerrten, baumelte um ihren Hals ein rotes Säckchen, das sie an sich drückte, als hinge ihr Leben davon ab.
Natürlich hatten sie das Säckchen anschließend persönlich in Augenschein genommen. Das wertlose Pulver, das sie darin entdeckten, konnte sie ihretwegen behalten.
Was sollten sie nur mit ihr anstellen? Rutger Neuhaus verlor allmählich die Geduld.
Dabei war der ursprüngliche Plan nahezu perfekt gewesen: Ohne den Schutz der Mutter würde das Mädchen einknicken und nach und nach alle Ketzer benennen, die dann auf spezielle Weise einer nach dem anderen unschädlich gemacht werden konnten.
Doch sie hatten sich verrechnet. Je mehr sie Nele zusetzten, desto verschlossener wurde sie, als spüre sie genau, was von ihrem Schweigen abhing. Einen allerletzten Versuch wollte Christian noch wagen. Sollte auch der
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