Die Pestmagd
sagte Sabeth. » So muss man es machen.«
Ennelin folgte gehorsam, und die Kleine begann sofort zu nuckeln. Ein Strahlen ging über Ennelins Züge.
» Aber das Zweite«, sagte sie plötzlich, als habe sie sich gerade erst wieder daran erinnert. » Es sollten doch zwei werden!«
» Eins nach dem anderen«, sagte Vincent, dem die Erleichterung über den bisherigen Verlauf ins Gesicht geschrieben stand. So jung sah er plötzlich aus, so gelöst, dass Johanna noch elender zumute wurde. » Ruht Euch ein wenig aus! Ihr werdet Eure Kraft noch brauchen.«
Nach einer Weile begann Ennelin wieder leise zu stöhnen.
» Es geht weiter«, sagte sie. » Ich spüre erneut Wehen.«
» Nimm ihr das Kind ab, Jo«, sagte Vincent. » Sie muss sich ganz dem hingeben, was jetzt ansteht.«
Der Name traf sie wie ein glühender Pfeil. Dazu kam die Wärme des kleinen Körpers, der nun in ihren Armen lag. Johanna spürte, wie alle Dämme in ihr brachen. Plötzlich versank alles um sie herum in einem Meer von Tränen.
Sie konnte nicht mehr aufhören zu weinen, auch als schließlich der Junge geboren wurde, zarter und kleiner als sein Schwesterchen. Er schrie nicht, sondern gab nur einen Laut von sich, der sich wie Räuspern anhörte. Als Sabeth ihn säuberte, begann er leise zu quengeln.
» Da ist er, Ludwig, dein Sohn«, sagte Ennelin tränenüberströmt, als Sabeth ihr den Neugeborenen an die Brust legte. » Mein kleiner toter Bruder, der zu mir zurückgekommen ist. Ich werde ihm den Namen meines Vaters geben: Wenzel. Und gleich damit anfangen, ihm von dir zu erzählen.«
Johanna weinte noch immer, als sie nach unten ging, während Vincent sich um die Nachgeburt kümmerte.
Die Kranken waren ungewöhnlich ruhig, als hätten sie gespürt, was sich über ihnen gerade vollzog.
» Wenn es immer so wäre, könnte man es beinahe aushalten.« Seufzend erhob Marusch sich von ihrem Hocker. » Nur der Bader hat wieder zu krakeelen begonnen. Am besten schaust du gleich nach ihm, denn ich leg mich jetzt endlich aufs Ohr.« Sie zog sich die Maske vom Gesicht. » Aber du heulst ja! Hat dich das Gebären dort oben so mitgenommen?«
Ludwig warf sich unruhig hin und her.
» Sie holen mich«, schrie er. » Lass sie nicht rein! Ich will nicht … will noch nicht …«
Johanna legte ihm die Hand auf den Arm.
» Spürst du mich?«, fragte sie. » Ich komme gerade von deinen Kindern. Zwei sind es, ein Mädchen und ein Junge.«
» Sie leben?«, flüsterte er.
» Beide gesund und munter«, versicherte Johanna.
» Und Ennelin?« Sie musste sich tief über ihn beugen, um ihn noch zu verstehen. » Ist sie …«
» Wird ihnen eine gute Mutter sein«, hörte Johanna sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen. » Eine sehr viel bessere, als ich jemals …«
Ein schwerer, rasselnder Atemzug, dann fiel Ludwigs Kopf zur Seite.
Johanna blieb neben ihm sitzen, die Hand auf seinem Arm. Manche glauben ja, dass die Seele zum Fenster hinausfliegt, wenn sie sich vom Körper löst, doch selbst wenn das zutrifft, überlegte Johanna, darf ich Ludwig jetzt nicht verlassen. Er war keiner der üblichen Pesttoten, die sie so schnell wie möglich wegbrachten, um Platz für die nächsten Kranken zu schaffen. Ludwig hatte ihr Trost im Leben geschenkt, deshalb war es richtig, ihm etwas davon im Tod zurückzugeben.
Er war ihr Freund gewesen, ihr Geliebter, ihr Vertrauter. Er hatte ihr Vincent zurückgebracht, auch wenn es nicht seine Absicht gewesen war.
Er wollte ihren Sohn gesehen haben – doch das war unmöglich.
Eine ganze Weile verharrte sie so, während ihre Tränen allmählich versiegten. Jetzt erst bemerkte sie die Gestalt, die leise hinter sie getreten war.
» Er ist gestorben«, sagte sie, während sie sich umdrehte. » Ludwig ist tot, aber die Kinder …«
Vincent schloss seine Arme fest um sie.
x
Er kam nicht mehr. Plötzlich war Bela sich ganz sicher.
Und auch die anderen, die zu ihren Stammkunden gehört hatten, würden sie nicht weiter aufsuchen. Die Geschwüre, die sie an ihrem geheimsten Ort ertastet hatte, verrieten ihr, dass ihre besten Tage vorüber waren.
Wem von ihnen hatte sie dieses Malheur zu verdanken?
Der Krähe, die ihr das Herz aus dem Körper gerissen und so lange darin herumgepickt hatte, bis es ganz zerrupft und blutig geworden war?
Dem Rheinmeister, der sie mit Silber und Pelzen bestechen wollte, damit sie vergaß, wie sehr er sie verachtete?
Dem Kürschner, den die eigene Gier so mickrig und klein gemacht hatte, dass er zum
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