Die Pestmagd
hinausgestürmt war, und er war handgreiflich gegen sie geworden, was seinen Zorn darüber verriet.
Hatte er vor zurückzukehren, um sein Werk zu vollenden – und der massakrierte Marder sollte zeigen, was ihr blühte, wenn sie sich ihm noch einmal in den Weg stellte?
Jetzt bereute Johanna, dass sie Vincent nichts von dem Einbrecher gesagt hatte. Dass die anderen Mägde geredet hatten, schloss sie aus. Grit war mit ihren Gedanken längst anderswo, und Marusch hatte, wie sie vermutete, allen Grund, den Mund zu halten.
Sie setzte sich, weil ihr plötzlich leicht schwummrig wurde.
Wenn Marusch den Mann einmal hereingelassen hatte, konnte sie es auch ein zweites Mal tun. Vielleicht kannte sie ihn von früher. Vielleicht hatte sie längst gewusst, dass er kommen würde. Vielleicht …
» Johanna?«, hörte sie plötzlich jemanden kläglich rufen. » Wo bist du?«
Sie stand auf, schloss den Wäscheverschlag auf und stieß den Kadaver mit dem Fuß hinein, bevor sie erneut abschloss. Den Schlüssel hatte sie mit einem Band an ihrer Schürze befestigt. Der Maskenmann würde sie niederschlagen müssen, bevor er ihn an sich nehmen konnte. Aber vielleicht hatte er ja genau das vor.
» Ich komme«, sagte sie und betrat die Krankenkammer, in der Ludwig Weißenburg lag.
Ihr Schreck, als Vincent ihn spät in der Nacht zu ihnen gebracht hatte, war inzwischen tiefem Mitgefühl gewichen.
Der Bader lag auf Leben und Tod, das wussten inzwischen alle im Pesthaus zur roten Pforte. Die Krankheit schien bei ihm einen besonders schlimmen Verlauf zu nehmen. Inzwischen saßen die schwarzen Beulen nicht nur am Bein, auch die Achseln und sogar der Hals waren befallen. Sein kräftiger Körper, auf den er stets so stolz gewesen war, schien innerhalb kürzester Zeit zusammengeschrumpelt. Verdorrt wie ein Hutzelmännchen krümmte er sich auf der Pritsche, verzehrt von brennendem Durst, den nichts und niemand zu stillen vermochte.
Grit und Marusch ekelten sich und waren mehr als erleichtert, als Johanna sich erboten hatte, seine Pflege allein zu übernehmen. Es machte ihr nichts aus, krügeweise Getränke an sein Lager zu schleppen, seine Binden zu wechseln oder ihm den Topf für die Notdurft unterzuschieben, weil er sich kaum noch bewegen konnte. Anfangs schien er nicht recht bemerkt zu haben, wer ihn da umsorgte, nannte sie abwechselnd Ennelin oder Agnes, wie seine erste Frau hieß.
Erst in der letzten Nacht hatte Ludwig sie erkannt.
» Dass ausgerechnet du mein Todesengel werden würdest …« Seine abgezehrten Hände waren auf die Decke zurückgesunken. » Wir hätten glücklich werden können, du und ich. Doch etwas stand immer zwischen uns.«
» Schone dich!« Johanna hatte ihm ein kühles Tuch auf die glühende Stirn gelegt. » Zu viel reden kostet zu viel Kraft.«
» Wozu?«, hatte er gekrächzt. » Es ist doch ohnehin bald vorbei.«
Seitdem rief er immer wieder nach ihr, als würde es ihn beruhigen, sie in seiner Nähe zu wissen. Und auch die Männer auf den anderen beiden Pritschen fingen an, lauthals nach Johanna zu rufen, als wäre sie der letzte Halt in einem dunklen Meer voller Angst.
Sie war todmüde und schweißnass, als Vincent eintraf.
Zusätzlich zur Maske und den Handschuhen hatte er einen langen schwarzen Mantel angelegt, der ihn förmlicher als sonst wirken ließ. Alles, was Johanna ihm hatte sagen wollen, erstarb bei diesem Anblick.
Er beugte sich über den Bader und untersuchte ihn. Dann richtete er sich langsam wieder auf, schaute zu Johanna und schüttelte den Kopf.
» Die Wahrheit«, flüsterte Ludwig. » Das seid Ihr mir schuldig. Meinen Sohn …«
» Wenn kein Wunder geschieht, werden Eure Kinder ohne Euch das Licht der Welt erblicken.« Vincents Stimme war warm. » Es sind zwei, wie ich annehme – oder Eure zarte junge Frau müsste schon einem Riesen das Leben schenken.«
» Meinen Sohn hab ich verstoßen«, fuhr Ludwig fort. » Christian. Ersetzen wollte ich ihn, deshalb schlägt Gott mich mit der Pest. Nicht mein einziges Vergehen. Ich bin ein Sünder. Wasser, bitte Wasser …«
Johanna stützte seinen Kopf, damit er ein paar Schlucke trinken konnte. Dann ließ sie ihn wieder zurücksinken.
» Johanna?«
» Hier bin ich. Noch immer bei dir.«
» Deinen Sohn hab ich belogen.«
Im ersten Augenblick glaubte sie, sich verhört zu haben. Doch der Bader umklammerte ihr Handgelenk, als wollte er sichergehen, dass sie ihn auch verstand.
» Er war bei mir. Im Badehaus. Er hat nach dir gefragt. Er war
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