Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
erstem Gefängnis. Mutlos trat er gegen die Tür, überzeugt, dass sie es ihm nicht so einfach machen würden, und war überrascht, als sie unter seinem Fuß nachgab.
    » Nele?«, flüsterte er. Inzwischen war es so dunkel, dass seine Augen sich erst an das wenige an Licht gewöhnen mussten. » Nele, bist du da?«
    Ein Laut traf sein Ohr, der ihn erstarren ließ. Es klang wie das Wimmern eines Welpen, den man in einen Sack gesteckt hat, um ihn zu ersäufen.
    Oder wie ein Mensch in größter Not.
    » Nele!«, rief er. » Ich bin es, Jakob!«
    Das Wimmern wurde lauter. Er lief zu der Ecke, aus der es kam.
    Nele lag auf einer dünnen Strohschicht, die Augen halb geschlossen. Eine stinkende Pferdedecke war über sie gebreitet.
    Aber weshalb war die Tür nicht abgeschlossen und sie unbewacht?
    » Jakob«, flüsterte sie, als er sich neben sie kniete. » Jakob – geh weg! Du musst sofort weggehen!«
    » Ich denke nicht daran«, sagte er. » Jetzt, wo ich dich endlich gefunden habe. Und wenn, dann nur mit dir. Setz dich auf – ich bin gekommen, um dich zu holen.«
    Nele bewegte den Kopf, als wäre sie zu schwach zum Reden.
    Plötzlich schoss die Angst Jakob ins Gedärm: das Pesthemd und ihre offene Wunde – aber das konnte, das durfte nicht sein!
    Nele schien zu spüren, was in ihm vorging, denn sie begann, sich unruhig zu bewegen.
    » Geh weg!«, wiederholte sie. Ihre Hand berührte das Pestamulett zwischen ihren Brüsten, dann fuhr sie zum Hals. » Es hat mich nicht geschützt, Jakob, es taugt nichts.«
    » Was redest du da?«, sagte er, während ein Schwindel ihn zu erfassen drohte. » Es muss dich schützen – sie hat es doch versprochen!«
    Nele schüttelte den Kopf, als könnte sie gar nicht mehr damit aufhören.
    » Du darfst mich nicht anfassen. Nirgendwo! Es sind die schwarzen Beulen. Ich werde meiner Mutter bald folgen.«
    x
    Die Nachrichten, mit denen Vincent ins Pesthaus zurückkehrte, klangen nicht schlecht, und dennoch empfand Johanna keinerlei wirkliche Erleichterung. Walter Eckes wollte nicht nur die Apotheke an den Vierwinden übernehmen, sondern sich zusätzlich um die Pacht des Pesthauses bewerben. Bis der Magistrat dies bewilligt hatte, führte er es in Ennelins Namen weiter. Essen, Stroh, Leinen, alles, was die Kranken und die Pestmägde brauchten, würde auch weiterhin bezahlt und angeliefert werden, weil die Witwe Weißenburg ihre Dankbarkeit erweisen wolle.
    Witwe Mechthus, Witwe Weißenburg – wie viele unzählige weitere Witwen gab es noch in Köln? Das große Sterben schien seinen Zenit noch nicht erreicht zu haben, das bekamen sie im Pesthaus nachdrücklich zu spüren. Vincent versuchte seine Kunst des Beulenöffnens an zwei weiteren Kranken, doch dieses Mal gelang es ihm nicht, sie zu retten. Ein junger Zimmermann starb unter den Händen des Medicus, eine ältere Frau, schon sehr geschwächt von einem harten Leben voller Entbehrungen, verschied nur ein paar Stunden nach dem riskanten Eingriff. Johanna beschwor Vincent, wenigstens das Mädchen vor dem Tod zu bewahren, was er mit resigniertem Schulterzucken beantwortete.
    Keiner von ihnen mochte reden, nachdem man die Leichen mit einem Tuch verhüllt hatte. Johanna nahm die Öllämpchen und trug sie in die Küche zum Auffüllen. Vincent folgte ihr und wartete, bis sie Marusch hinausgeschickt hatte. Sie sollte den Totenkarren anhalten, der durch die Gassen fuhr. Widerwillig räumte sie das Feld. Ihr ganzer ausgemergelter Körper drückte Missmut aus.
    Nun erst schob Vincent die Maske beiseite, obwohl er doch niemals vergaß, alle anderen im Pesthaus genau davor zu warnen.
    » Ich hasse es, ohnmächtig zu sein«, sagte er, so müde, dass Johanna noch beklommener zumute wurde. » Sie sterben, und wir können nichts dagegen ausrichten. All diese Kräuter, Bänder und Amulette, an die sie sich bis zum letzten Augenblick klammern, retten sie nicht. Nicht einmal ihre Gebete tun es. Und ich vermag es ebenso wenig. Medicus nennen sie mich? In Augenblicken wie diesen komme ich mir vor wie ein Schlächter.«
    » So habe ich dich noch nie gehört«, sagte sie.
    » Aber so sieht es in meinem Innersten aus. Was soll ich den Jungen in der Burse beibringen? Dass wir unwissend und hilflos sind? Verloren in einem unendlichen Meer der Ahnungslosigkeit? Und dass Menschen zu Bestien werden können, sobald sie die Nähe des Todes spüren? Soll ich sie das wirklich lehren?«
    » Ludwig ist getröstet gestorben«, sagte Johanna. » Auch wenn kein Geistlicher bei ihm

Weitere Kostenlose Bücher