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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wieder so etwas wie Liebe zu empfinden.
    Nun jedoch, mit Vincents Rückkehr, war der Kokon aufgebrochen.
    Die Wunde war alt, aber noch ebenso tief wie damals. Und sie hatte erneut zu bluten begonnen.
    x
    Schon nach den ersten Schritten überfiel Jakob die schiere Verzweiflung. Obwohl Nele kaum noch Fleisch auf den Knochen hatte, ließ sich der Leiterwagen nur mühsam ziehen. Das alte Gefährt ächzte unter der bescheidenen Last; die Räder knarrten und quietschten, als wollten sie im nächsten Moment abfallen. Zudem war die Deichsel so morsch, dass Jakob Angst hatte, sie könnte im nächsten Augenblick brechen oder splittern.
    Sehr weit würden sie so nicht kommen, das war gewiss!
    Und besonders schnell waren sie ebenfalls nicht. Wenn die Bande ihre Flucht bemerkte, würden sie sie rasch einholen. Schweißgebadet wandte er sich immer wieder um und hielt nach Verfolgern Ausschau.
    Fast ebenso große Sorge bereitete ihm, dass aus Neles Mund so gut wie kein Ton mehr kam. Am Ehrentor, als die Kranke unter der alten Pferdedecke ganz verhüllt gewesen war, hatte er es noch als Vorteil empfunden, weder Rede noch Antwort stehen zu müssen und sich einfach durchzuschleichen, wie er es schon viele Male getan hatte. Doch inzwischen blieb er immer wieder stehen, schlug die Decke zurück und betrachtete ängstlich das aschfahle Gesicht, das immer mehr zu verfallen schien.
    Wohin mit ihr?
    In eines der verlassenen Häuser durfte er sie nicht bringen, denn das hätte unweigerlich Neles Tod bedeutet, so schwach und hoch fiebernd, wie sie war. Aber in einem Gasthaus konnten sie sich in Neles Zustand ebenso wenig einquartieren.
    Ins Haus am Berlich?
    Ganz kurz streifte Jakob diese waghalsige Idee, bevor er sie kopfschüttelnd wieder verwarf. Hurenwirt Wolter würde ihn hinauswerfen, wenn er mit einer Pestkranken dort auftauchte, und Bela …
    Der Gedanke an sie fühlte sich an wie ein Splitter, der ins Fleisch eingedrungen war und dort zu eitern begann. Er hatte sie zutiefst enttäuscht, wenngleich er nicht genau wusste, womit. Der Plan, eines Tages zusammen wegzugehen, war immer nur von ihr gekommen, niemals von ihm. Er hatte sich nicht vorstellen können, so etwas auch nur in Betracht zu ziehen – bis er Nele begegnet war.
    Sie durfte nicht sterben!
    Aufgewühlt von seinen Gefühlen, zog Jakob so stark an der Deichsel, dass sie abbrach. Mit dem kurzen Ende ließ der Leiterwagen sich nicht mehr lenken.
    Jakob bückte sich, schlug die Decke zurück. Nele atmete nur noch ganz flach, war wächsern wie eine Tote, was die schwarzen Beulen an ihrem Hals noch bedrohlicher aussehen ließ. Jakob fasste unter sie, bis er ihren Körper halbwegs sicher zu greifen bekam. Dann richtete er sich langsam wieder auf. Bis zur Gereonstraße waren es nur noch ein paar Ecken. Und hatte er insgeheim nicht schon von vornherein gewusst, dass das Pesthaus sein Ziel war, wo der Medicus angeblich wahre Wunder vollbrachte? Mit Nele auf den Armen näherte er sich dem Haus zur roten Pforte.
    Aber dort drinnen war ja sie – sie!
    Sie kann dich nicht wiedererkennen, versuchte er, sich Mut zu machen. Du hast die Maske nicht abgenommen. Alles, was du immer wolltest, ist noch immer richtig. Du wirst deine Rache stillen – aber erst muss Nele überleben!
    Jakobs Herz begann wie wild zu schlagen, was nicht allein an der Last auf seinen Armen lag. Er zögerte, atmete tief aus. Dann schlug sein Fuß gegen die Tür. Einmal. Zweimal. Dreimal.
    » Bist du verrückt geworden? Du weckst ja unsere Sterbenden wieder auf!« Die Frau mit der Maske, die ihm öffnete, ein Öllicht in der Hand, war die Schwarze Marusch, was ihn unendlich erleichterte. » Du schon wieder?«, sagte sie missmutig. » Brauchst du wieder Wäsche? Das schlag dir gleich mal aus dem Kopf! Du ahnst ja nicht, was hier seitdem …« Sie hielt inne, starrte auf Nele. » Ist sie schon tot?«, fragte sie. » Dann muss sie gleich auf den Karren.«
    » Sie lebt, das siehst du doch! Wohin kann ich sie legen?«
    » Du kommst mir hier nicht mehr rein«, sagte Marusch. » Ich will nicht noch einmal den Ärger von neulich haben. Kannst du überhaupt bezahlen?«
    » Sobald sie ein Bett hat«, sagte er.
    Marusch begann ins Haus zu rufen. » Grit! Sabeth – so helft mir doch!«
    Zwei Frauen, die ebenfalls Masken trugen, kamen angelaufen, eine davon alt, wie Jakob an ihrem gebeugten Rücken erkannte. Mit Kraft und Routine packten sie Nele an Armen und Beinen und trugen sie nach drinnen.
    Von Hoffnung und Angst gebeutelt,

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