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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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war. Seine Kinder werden leben. Ich bin froh, dass sie das Pesthaus endlich verlassen haben.«
    » Weil sie dich dann nicht länger an Jakob erinnern?«
    Johanna presste die Lippen aufeinander. » Ich muss mich um frisches Leinen kümmern«, murmelte sie und wollte an ihm vorbei.
    Vincent ließ sie nicht gehen.
    » Sprich mit mir!«, bat er. » Lass mich endlich die Last deines Herzens teilen!«
    » Wie könnte ich das?«, gab sie zurück. » Zu viel ist geschehen.«
    » Du kennst mich. Du könntest lernen, mir wieder zu vertrauen.«
    » Du bist ein Fremder für mich«, widersprach sie heftig. » Gekannt habe ich dich vor vielen Jahren – zumindest habe ich das zu jener Zeit geglaubt. Danach war ich allein. Und bin es bis heute geblieben. Severin hat das gewusst und es so hingenommen, weil er mich geliebt hat. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.«
    » Manchmal ist es leichter, mit Fremden zu reden«, sagte er.
    » Aber nicht über Jakob – unseren Sohn!«, schrie sie, um gleich danach die Hand auf den Mund zu pressen. Gehetzt sah sie sich um. Wenn Marusch sie gehört hatte, würde alles nur noch schwieriger werden.
    » Jetzt hast du es zum ersten Mal gesagt.« Seine Augen ließen sie nicht mehr los.
    » Und wenn schon?«, sagte Johanna bitter. » Es ändert ja doch nichts daran. Weder essen noch schlafen konnte ich, nachdem ich von seinem Tod erfahren musste, so verzweifelt war ich. Mit Gott und allen Heiligen habe ich gehadert, weil sie mich verschont und ihn zu sich genommen haben. Hätte Severin mich nicht wie herrenloses Strandgut aufgelesen und mit nach Köln genommen, ich …«
    Er wollte sie berühren, Johanna aber wich zurück.
    » Hör auf!«, sagte sie. » Auch das bringt die alten Zeiten nicht wieder zurück. Ich bin schon lange nicht mehr das Mädchen mit dem goldenen Zopf, das du einst begehrt hast.«
    » Wer bist du dann?«, fragte er. » Sag es mir, Johanna!«
    » Das fragst du? Dabei weiß es doch keiner besser als du!« Ihre Augen wurden hart. » Verdammt in dieses Haus bin ich, bis das Sterben endlich endet oder ich selbst gestorben bin. Wer auch immer mir die Tierleichen auf die Schwelle legt, er hat recht mit dem, was er tut: Eine Leiche bin ich schon jetzt, eine Leiche, die noch atmet und spricht – aber wie lange noch, Vincent, wie lange?«
    Sie hatte ihn vor den Kopf gestoßen, und als er gegangen war, gebeugt, als hätte er auf einmal viel mehr Jahre zu tragen, bereute Johanna die Heftigkeit ihres Ausbruchs. Auch damit würde sie Jakob nicht mehr lebendig machen, und an das Gerede von Ludwig und Ennelin, sie hätten einen jungen Mann mit den gleichen Augen wie sie gesehen, konnte und wollte sie nicht glauben.
    Keiner war damals dabei gewesen, als der Schwarze Tod in Freiburg gewütet hatte, als ganze Gassen verödeten und kaum noch Leben in der Stadt gewesen war. Schwankend, unfähig, sich lange auf den Beinen zu halten, hatte Johanna das Pesthaus verlassen. Eine Überlebende, die ab jetzt verbergen musste, was hinter ihr lag, wollte sie nicht als Hexe gebrandmarkt werden, die mit übernatürlichen Mächten in Verbindung stand und anderen Böses antun konnte.
    Unter Tränen hatte Ita ihr damals gestanden, dass Jakob gestorben sei, obwohl sie alles versucht habe, um ihn zu retten. Himmel und Hölle hatte sie dafür als Zeugen beschworen, sich vor Johanna zu Boden geworfen und sie um Vergebung angefleht, die sie ihr allerdings nicht erteilen konnte, ebenso wenig wie sich selbst. Übergangslos war Ita in Verwünschungen verfallen, und schließlich hatte sie sie verflucht.
    Neben der grenzenlosen Leere, die danach in Johanna Einzug gehalten hatte, war es vor allem dieser Gedanke gewesen, der sie seitdem nicht mehr losließ: Hatte sie zu lange gewartet, um sich der Wahrheit zu stellen, und Jakob in dieser Zeit des Hoffens und Bangens angesteckt?
    Trug somit sie die Schuld an seinem Tod?
    Als sie schon drauf und dran war, zu Rattengift zu greifen, um ihm zu folgen, weil sie ein Leben ohne ihn nicht länger ertrug, war Severin Arnheim im Badehaus erschienen, ein Mann der Tat, nicht vieler Worte, der sie nach wenigen Tagen gefragt hatte, ob sie ihm als Braut nach Köln folgen wolle. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte Johanna eingewilligt.
    Das Schicksal hatte ihr an Severins Seite eine Verschnaufpause gewährt und unerwartet sorglose Jahre geschenkt, in denen die tiefe Wunde sich nach und nach wie in einem Kokon verpuppen konnte und Johanna wieder in der Lage war zu leben, zu lächeln, ja sogar

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