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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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verlassenen, zum Großteil verwüsteten Häusern hatten Jakob innerlich ganz elend werden lassen. Dass zwei von ihnen das Zeichen der Bande aufwiesen, verstärkte sein Unwohlsein. Von klein auf war er an das Herumziehen gewohnt, doch selbst in den schlimmsten Jahren hatte der Alte darauf geachtet, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten, sobald es strenger Winter wurde, mochte es noch so schäbig oder undicht sein. Die kalten Monate brachten die Menschen näher zusammen. Händel und Zwist, sonst täglich Gast bei denen, die nichts oder fast nichts besaßen, wurden seltener. Man half dem anderen, schon weil man niemals wissen konnte, ob man nicht morgen selbst dessen Hilfe benötigen würde.
    Manchmal hatten sie sich mit anderen Bettlern zusammengeschlossen, einmal sogar in einem Franziskanerkloster, wo die frommen Brüder ihnen im leeren Schweinestall Unterschlupf gewährt hatten, bis die schlimmsten Stürme vorüber waren. Damals hatte er sich oft danach gesehnt, endlich allein zu sein – befreit von dem Alten, den er mehr als den Teufel hasste, aber auch vom Schmatzen, Furzen und Stöhnen der anderen, dem Gestank der ungewaschenen Leiber und der Not, die aus ihnen quoll, sobald sie den Mund aufmachten und ihr verfahrenes Schicksal beklagten.
    Jetzt jedoch, zwischen diesen leeren Mauern, die von Krankheit und Tod kündeten, sehnte Jakob sich regelrecht danach zurück. Sogar die Gemeinschaft der Bande, die er erst verabscheut und gemieden hatte, begann er beinahe zu vermissen – vor allem jedoch Nele, die er bei ihnen zurückgelassen hatte. Die Sorgen um sie wollten kein Ende nehmen, verfolgten ihn bis in den Schlaf und setzten sich wie ein Alb auf seine Brust, sobald er die Augen wieder aufschlug.
    Der Mann, den sie erstochen hatte, war alles andere als ein Bettler oder Vagant, nach dem kein Hahn krähte. Mochte Rutger Neuhaus auch ein Widerling gewesen sein, der ständig im Hurenhaus verkehrte, obwohl er verheiratet war, mochte er auch finstere Ziele verfolgt haben, die Leid und Verderben für viele brachten, sein Tod würde doch großes Aufsehen in der Stadt erregen.
    Hatte Christian nicht sogar einmal behauptet, der Rheinmeister sei mit dem Kanzler des Erzbischofs verwandt? Dann konnten sie seine Leiche erst recht nicht sang- und klanglos im Fluss verschwinden lassen, was alles nur noch schlimmer machte.
    Christian und Ruch würden Nele bestimmt hinhängen, sie würden sonst selbst in Verdacht geraten – Nele, die, weil sie an das Wort glaubte, niemals log, selbst wenn sie damit ihren eigenen Untergang heraufbeschwor.
    Des Mordes würde sie angeklagt und in den Turm geworfen werden, genauso wie Johanna. Doch im Gegensatz zu dieser, die auf wundersame Weise dem Galgen entkommen war und stattdessen im Pesthaus steckte, würde es für Nele kein Entrinnen geben.
    Zu jeder Hinrichtung, an der ihr Weg vorbeiführte, hatte der Alte ihn geschleppt, um seine Erziehung zu vervollkommnen, wie er mit hässlichem Grinsen behauptete. » Sieh ganz genau hin, Kleiner!« Noch immer glaubte Jakob seine Hand im Nacken zu spüren, die ihn unbarmherzig nach oben zwang. » Und mach gefälligst die Augen weit auf, damit dir nichts entgeht! So wirst auch du eines Tages enden, wenn du nicht genau das tust, was ich dir sage.«
    Wie wild begann Jakob mit den Armen zu rudern, so durchfroren fühlte er sich auf einmal. Feuer zu schlagen hatte er auch in diesem Haus nicht gewagt, obwohl er die dazu notwendigen Materialien nach langer Suche schließlich aufgetrieben hatte. Wenn er so weitermachte, würde er sich binnen Kurzem Husten und Fieber zuziehen.
    Plötzlich lachte er laut auf. Da stand er in einem Gespensterhaus, aus dem sie womöglich erst vor wenigen Tagen die letzten Pesttoten gekarrt hatten, und machte sich Sorgen um seine Gesundheit! Jeder in Köln konnte sterben, heute, morgen, übermorgen. Die Pest holte sich, wen sie wollte, ob jung, ob alt, ob Greis, ob Kind. Lange hatte er sich auf die Zeit verlassen, weil sie ihn eines Tages zur Mutter führen würde, damit er seine Rache stillen konnte, daran gab es für ihn niemals einen Zweifel. Doch nun erschien ihm die Zeit zum ersten Mal als Feind, der gegen ihn arbeitete.
    Der nächste Kadaver war längst fällig, doch wie konnte er sich um dergleichen kümmern, wo es jetzt um Nele ging?
    Vielleicht hatten sie sie inzwischen vor den Grewen geschleift, während er sich wie ein Tier verkroch, das seine Wunden leckte. Vielleicht quälten sie Nele auf brutale Weise, um ihr mehr zu

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