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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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entlocken. Vielleicht hatten sie sie sogar …
    Er verbot sich weiterzudenken.
    » Jakob?« Auf einmal glaubte er zu hören, wie sie nach ihm rief. Doch warum klang ihre Stimme so kraftlos und schwach? » Jakob, wo bist du …«
    Wie hatte er sie bei der Bande zurücklassen können?
    Er musste von Sinnen gewesen sein, ganz und gar der haltlose Träumer, als den der Alte ihn immer beschimpft hatte, bevor er seinen Stock auf ihm tanzen ließ, bis die Haut platzte. Noch heute sah man die Narben auf seinem Rücken, wenn man genau hinschaute. Bela hatte ihn einmal danach gefragt, während sie spielerisch die Fingerkuppen darüber gleiten ließ, um ihn erneut zur Lust zu locken. Er hatte rasch abgewiegelt, weil er sich für seine Schwäche von damals schämte.
    Aber der Alte war tot.
    Und er würde seinen Fehler endlich wiedergutmachen.
    Jakob stopfte sich den Brotkanten in den Mund, den er aus einer Backstube gestohlen hatte. Dann kletterte er aus dem Fenster, durch das er am Vortag eingestiegen war.
    Unterwegs beschloss er, einen Abstecher zum Markt zu machen, weil sein Hunger inzwischen so groß war, dass er ihm schon ein Loch in den Magen gefressen hatte – so jedenfalls fühlte es sich an. Hier fiel immer etwas ab, wenn man es geschickt genug anstellte. Unnötig Kupfer auszugeben hatte er nicht vor, denn die Pesthäuser, in denen er untergeschlüpft war, waren so leer gewesen, dass er nicht eine einzige vergessene Münze darin entdecken konnte, um seine mager gewordenen Reserven endlich wieder aufzufüllen.
    Wie zufällig stieß er gegen einen Stand und brachte doch nur ein paar leicht verschrumpelte Äpfel ins Rollen, die er eilig aufsammelte. Von rohen Kohlblättern bekam man nur Durchfall, das wusste er seit Langem, und auch die Zwiebeln und Rüben, die man lang kochen, dünsten und braten musste, um ihnen Geschmack zu entlocken, reizten ihn nicht. Da waren die Küchlein schon verführerischer, die ein Stück weiter im heißen Schmalz schwammen.
    Jakobs Mund wurde wässrig vor Gier, während er darauf zusteuerte.
    » Bist du nicht der junge Mann von der Apotheke?«, hörte er plötzlich jemanden sagen und duckte sich unwillkürlich.
    Er hatte vergessen, sich unsichtbar zu machen! Sein bohrender Hunger war stärker als die alte Vorsicht gewesen.
    » Du bist es. Ich hab dich gleich wiedererkannt.« Es war der Jude mit dem gelben Hut, der ihm den Weg verstellte. » Damals warst du so schnell verschwunden, dass ich …«
    » Ich bin auch jetzt in Eile«, sagte Jakob, dem immer unbehaglicher zumute wurde. » Lasst mich durch!«
    Er tastete nach dem Messer. Noch ein Wort – und er würde …
    » Nicht, bevor ich dir meinen Dank ausgesprochen habe. Du warst sehr mutig. So etwas findet man selten in diesen dunklen Zeiten. Das habe ich auch dem Medicus gesagt, dem du so ähnlich siehst. Seid ihr Verwandte?«
    Was faselte er da?
    Inzwischen erinnerte sich Jakob wieder: Er war dem Juden beigestanden, weil er es hasste, wenn viele heimtückisch über einen Einzelnen herfielen, nicht mehr und nicht weniger.
    » Welcher Medicus?«, fragte er unwillig, weil der Jude keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen.
    » De Vries. Der Leibarzt des Erzbischofs, ein bemerkenswerter Mann, dem man sich guten Gewissens in die Hände begeben kann. Im Pesthaus zur roten Pforte soll er wahre Wunder vollbringen.« Sein Lächeln wurde breiter. » Weißt du, dass ich die Stute wieder aufgepäppelt habe? Johanna Arnheims Stute. Du würdest sie kaum wiedererkennen, so gut hat sie sich inzwischen erholt. Das bin ich dem Medicus schuldig, denn schließlich hat er ja meine Miriam von den wilden Blattern kuriert.«
    Ein Medicus, dem er ähnelte. Eine Stute, die zu stehlen er versäumt hatte, sonst stünde er jetzt besser da. Johanna! Irgendeine Miriam, von der er zum ersten Mal hörte – und Nele, die auf ihn wartete, während er hier …
    » Ich muss weiter.« Jakob wollte an ben Baruch vorbei, doch der Jude versperrte ihm noch immer den Weg.
    » Nimm wenigstens das«, sagte er und drückte Jakob etwas in die Hand. » Du siehst aus, als könntest du es brauchen.«
    Ein blanker Gulden, so glänzend, als sei er frisch geprägt worden. Jakob schob ihn zu seinem Messer und lief weiter zur Großen Budengasse. Hier gab es alles, was Frauen liebten, Kämme, Spiegel, Bänder, Döschen, Garne. Unter anderen Umständen hätte er sich hier nach einem kleinen Geschenk für Nele umgesehen, doch er musste ja weiter und durfte sich nicht im Nebensächlichen

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