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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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hängen und mich nach allen Seiten zu entleeren!«
    Der magere Kleriker an Vincents Seite verdrehte die Augen.
    » Er ist nicht immer so, müsst Ihr wissen«, sagte er entschuldigend. » Nur wenn die Nächte ihm wieder einmal besonders übel mitgespielt haben. Sein Leiden raubt ihm den letzten Nerv, macht ihn dünnhäutig und übellaunig. Früher hat der Erzbischof gescherzt und gelacht, doch das ist lange vorbei. Hoffentlich schafft Eure Kunst endlich Abhilfe. Das würde ich Seiner Exzellenz von Herzen wünschen – und uns allen, die ihm dienen, mit dazu.«
    » Dann bringt mich zu ihm!«, verlangte Vincent. » Ich muss meine Patienten schließlich erst zu Gesicht bekommen, bevor ich sie kurieren kann.«
    Er war frisch rasiert, trug ein neues Hemd und hatte sein bestes Wams aus blauem Samt hervorgekramt, um seriös und gediegen zu wirken, obwohl Kleidung ihm sonst reichlich gleichgültig war. Der venezianische Quecksilberspiegel hatte sein Bild zurückgeworfen: ein Mann in den besten Jahren, das dunkle Haar von Silberfäden durchzogen, die Kinnpartie noch immer fest, dazu sinnliche Lippen in einem schmalen, markanten Gesicht.
    Die Folgen endloser Wanderschaft entdeckte man erst, wenn man genauer hinsah, an den Schatten um die Augen, dem resignierten Zug um die Nasenflügel, der steilen Falte zwischen den Brauen, die sich vertiefte, sobald er sich ärgerte. Einer, der Sand in den Schuhen hatte, wie man im Volksmund gern über Heimatlose sagte. Jemand, der bislang nirgendwo richtig angekommen war. Vincent hatte lernen müssen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. So und nur so konnte er seine Arbeit verrichten und Ekel und Furcht überwinden, die ihm wieder zu schaffen machten. Deshalb hatte er es heute bis vor diese Tür in der Trankgasse geschafft, wo der Erzbischof residierte, wenn er sich in Köln aufhielt.
    Ein Neubeginn – er war bereit dazu.
    Die Knöchel des mageren Klerikers schlugen gegen das Holz.
    » Der neue Leibarzt.« Sein Begleiter verneigte sich, als von innen geöffnet wurde, und trat einen Schritt zurück, um ihm den Vortritt zu lassen. » Vincent de Vries aus Heidelberg, wie Seine Exzellenz es angeordnet hat.«
    Spannung schlug ihm beim Eintreten entgegen, das war das Erste, was Vincent registrierte. Der Raum war groß und sparsam möbliert; es gab einen Tisch, mehrere Stühle, zwei Truhen aus dunklem Holz. Allerdings waren die Kerzenleuchter aus schwerem Silber getrieben, und die Wandvertäfelung bestand aus feinstem Vogelahorn. Der Mann in der Mitte, der auf seinem gepolsterten Sessel mehr lag denn saß, als hinderten ihn unerträgliche Schmerzen an einer aufrechten Haltung, musste Hermann von Wied sein. Links von ihm stand ein hagerer Bärtiger mit Adlernase, der dem Besucher finster entgegenstarrte, rechts ein beleibter Mann in vorgerücktem Alter, grauhaarig und leicht gebückt, dessen Miene nicht zu deuten war.
    » Tretet näher!« Spinnendünne Hände wedelten durch die Luft. » Für Euer Kommen hättet Ihr keinen günstigeren Zeitpunkt wählen können!«
    » Wie darf ich das verstehen, Eure Exzellenz?«, fragte Vincent, während er der Aufforderung nachkam.
    » Nun, derzeit fühle ich mich dem Tod näher als dem Leben«, krächzte der Erzbischof. » Malträtiert von einer Schar nichtsnutziger Quacksalber, die ihre sinnlosen Experimente mit mir getrieben haben.« Der Bärtige, der sich bei diesen Worten offensichtlich angesprochen fühlte, stieß ein missbilligendes Brummen aus, was den Sprechenden kurz innehalten ließ, bevor er fortfuhr: » Deshalb hab ich sie jetzt auch alle miteinander zum Teufel gejagt – bis auf unseren Medicus Longolius neben mir, der allerdings entschlossen scheint, mich weiterhin zu traktieren.«
    » Ihr seid sehr krank, Exzellenz«, wandte Longolius ein. » Und alles, worum es mir geht, ist Euch wieder gesund zu machen. Ihr leidet an einem Überfluss der schwarzen Milzgalle, deshalb erscheint mir das Purgieren nun einmal die beste aller …«
    Hermann von Wied rappelte sich mühsam auf.
    » Nicht schon wieder dieses Wort!«, verlangte er. » Und hütet Euch ja, von Aderlass oder Blutegeln zu sprechen, sonst verliere ich auf der Stelle die Fassung!«
    » Ihr habt Euch übernommen«, schaltete sich nun der grauhaarige Mann ein. » Die Sorgen um das Erzbistum, die Querelen mit der aufsässigen Bürgerschaft, all die Kümmernisse um Klerus und Klöster – das war einfach zu viel! Ihr müsst Euch schonen, wieder zur Ruhe kommen.«
    Vincent beugte sich über den

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