Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
Erzbischof.
    » Als Erstes würde ich Euch jetzt gern untersuchen, Exzellenz«, sagte er, obwohl ihm die erweiterten Gefäße auf dessen Wangen bereits erste aufschlussreiche Anhaltspunkte lieferten. » Am liebsten unter vier Augen. Könnt Ihr das einrichten?«
    » Ich bin Bernhard vom Hagen, Kanzler seiner Exzellenz«, sagte der Grauhaarige, und man hörte, dass er gewohnt war, zu befehlen. » Zusammen mit Leibarzt Gisbert Longolius werde ich Eurer Diagnose beiwohnen.«
    Eine Prüfung, dachte Vincent.
    Nichts Neues für ihn, wenngleich er den ungestörten Kontakt zum Patienten bevorzugte. Longolius machte auch keinerlei Anstalten, sich zurückzuziehen. Ein Landsmann, wie Vincent sogleich am singenden Tonfall erkannt hatte, den auch er bis heute nicht ganz abgelegt hatte. Dann musste die Untersuchung eben in Anwesenheit der beiden Männer vonstattengehen, die ihm bei allem, was er tat, ganz genau auf die Finger schauen würden.
    » Reicht mir Eure Hand, Exzellenz!«, sagte er und drehte sie um, nachdem Hermann von Wied nur zögerlich seiner Aufforderung nachgekommen war.
    Auf beiden Daumenballen entdeckte Vincent verräterische rote Flecken, und die Haut war überaus warm, was er bereits erwartet hatte. Unübersehbar die Weißnägel an allen Fingern, die leicht gewölbt und von Rillen durchzogen waren. Trotz der Hitze trug der Kranke eine rote Kappe mit breiter Brokatbordüre. Ob sein Haupthaar altersmäßig spärlicher wuchs oder das Leiden es so stark gelichtet hatte, würde später herauszufinden sein.
    » Und jetzt die Zunge«, sagte Vincent. » Heraus mit ihr!«
    Der Erzbischof zögerte abermals, dann streckte er sie heraus.
    Sie hatte die Farbe reifer Erdbeeren, zeigte aber keinen Stich ins Bläuliche, was Vincent beruhigte.
    » Als Nächstes möchte ich Euren Bauch abtasten«, sagte er.
    » Ist das wirklich nötig?« Die Lider des Erzbischofs begannen zu flattern.
    » Ich werde behutsam sein, das verspreche ich.« Vincent schob den steifen Mantel ein wenig zur Seite. Das Untergewand war aus Seide und so dünn, dass er die pralle Wölbung des Leibs erspüren konnte. Der Brustkorb war eingefallen wie bei einem Greis. Dafür stand der Bauch wie eine Kugel hervor, war hart und überaus empfindlich, wie er registrierte, denn der Kranke verzog selbst bei sanftester Berührung das Gesicht.
    » Habt Ihr in letzter Zeit stark an Gewicht verloren, Exzellenz?«, fragte Vincent weiter.
    » Ja, ich denke schon. Jedenfalls hängen die Messgewänder an mir wie ein nasser Sack.«
    » Euer Appetit lässt schon seit Längerem zu wünschen übrig?«
    » Ich esse wie ein Spatz. Und alles, was auf meinen Tisch kommt, erscheint mir unerträglich salzig. Dabei schwört mein Leibkoch Stein und Bein, er würde das Salzfass kaum noch anrühren. Ich werde ihn entlassen müssen, wenn er so weitermacht. Dieser Fraß ist unzumutbar!«
    Vincent nickte. Das Krankheitsbild rundete sich für ihn mehr und mehr.
    » Eines noch: Plagt Euch nächtlicher Juckreiz, der Euch den Schlaf raubt?«
    » Woher wisst Ihr das? Dieses Jucken gehört zum Allerschlimmsten, was ich erleiden muss. Bin schon ganz schorfig geworden vom ständigen Aufkratzen. Aber sosehr ich auch um Beherrschung ringe – nachts führen meine ungehorsamen Hände offenbar ein Eigenleben.«
    Vincent begann zu lächeln.
    » Davon werdet Ihr bald befreit sein«, sagte er. » Und auch Müdigkeit und Schwäche werden nach und nach verschwinden. Allerdings müsst Ihr tapfer mitarbeiten, um Eure Gesundheit zurückzugewinnen, und auch ein wenig Bitterkeit ertragen, denn allein Bitteres vermag Euer Befinden zu verbessern.«
    » Was sollen all diese Versprechungen?«, wandte Longolius mit giftigem Unterton ein. » Das Leiden des Erzbischofs …«
    » … sitzt nach meinem Dafürhalten eindeutig in der Leber«, unterbrach ihn Vincent. » Ein wichtiges Organ, das, einmal gestört, eine Vielzahl von Beschwerden hervorrufen kann. Und ein gefährliches dazu, weil man erst etwas spürt, wenn die Erkrankung schon fortgeschritten ist. Sollte es einen Überschuss geben, dann den an gelber Galle. Manche wollen uns glauben machen, allein der Anblick eines gelbäugigen Wiesels könne Heilung herbeiführen, aber ich halte mich lieber an Bewährtes: zunächst an Leberblümleinblüten, kalt aufgegossen und abgeseiht, kombiniert mit Rettichwasser, vor allem aber an den gelben Saft des Schöllkrauts, vermischt mit Anissamen, allmorgendlich auf nüchternen Magen genossen.«
    Er redete schneller, jetzt offenbar

Weitere Kostenlose Bücher