Die Pestmagd
kräftige, gesunde Tiere, wie sie gleich sah, als sie näher kam. Einer hellen Stute, die ihr von Weitem einigermaßen tauglich erschienen war, lief bei eingehender Betrachtung übel riechender Schleim aus den Nüstern, und ihr Blick war glasig.
» Was für ein wunderbares Ross!«, versicherte der Händler vollmundig, als er Johannas Zögern bemerkte. » Gehorsam, geduldig und genau im richtigen Alter.«
» Für mich sieht sie aus, als ob sie bald sterben würde«, sagte Johanna.
» Was redet Ihr da! Sie kann noch gern zwanzig Jahre leben. Ihr wollt sie als Reittier?«
Johanna schüttelte den Kopf und ging weiter, doch auch der braune Wallach, den sie anschließend in Augenschein nahm, hatte einen seltsamen Husten, und sein Rücken wirkte eingefallen.
» Er braucht nur ein wenig Ruhe und eine liebevolle Hand.« Jetzt schien der zweite Pferdehändler entschlossen, sein Geschäft mit ihr zu machen. » Dann werdet Ihr viel Freude an ihm haben. Dazu ein günstiger Preis. Schlagt ein: hundert Gulden und er gehört Euch!«
Johanna erschrak. Das war deutlich mehr, als sie sich vorgestellt hatte – und das bei einem Tier, das so klapprig wirkte, dass es kaum zum Arbeiten taugen würde. Mutlos rieb sie an ihrem Kleid herum, das inzwischen voller Heu- und Strohreste war. Wie eine Vogelscheuche musste sie aussehen. Eine Vogelscheuche, die sich so verloren fühlte, dass sie Angst hatte, im nächsten Augenblick vor allen in Tränen auszubrechen.
» Lasst Euch nicht beirren!«, hörte sie plötzlich eine Männerstimme neben sich sagen. » Das hier sind alles Halsabschneider und Betrüger – und ihre Rösser nichts als kranke Klepper.«
Johanna fuhr herum und schaute in die braunen Augen von Mendel ben Baruch.
» Aber ich brauche doch ein Pferd!«, stieß sie hervor. » Und das so schnell wie möglich. Sonst darf ich nach den Bestimmungen der Weinschule meinen Handel nicht weiterführen.«
» Und ich dachte, sie schikanieren bloß mein Volk«, sagte Mendel kopfschüttelnd.
» Jetzt habe ich, nachdem der Deutzer Abt mich so schmählich im Stich gelassen hat, mit Müh und Not endlich ein Kloster aufgetan, das mir Wein verkaufen will, aber ohne Pferd ist diese Zusage nichts wert.«
» Ihr braucht ein Pferd? Dann sollt Ihr Euer Pferd auch bekommen.«
Johannas Augen ruhten fragend auf seinem Gesicht.
» Ich kenne da ein paar Viehjuden, die womöglich weiterhelfen können«, sagte er. » Natürlich ist es immer günstiger, wenn man genügend Zeit hat und sich ein Geschäft in aller Ruhe überlegen kann. Aber wenn nötig, muss es eben schnell gehen.«
» Aber wie soll ich denn zu Euren Viehjuden …«
» Das überlasst mir!«, unterbrach er sie. » Ihr wohnt doch im Haus zur Lilie in der Mühlengasse?«
» Woher wisst Ihr das?«
» Euer verstorbener Mann hat es mir einmal erzählt«, sagte Mendel knapp. » Wir kamen darauf, weil gleich nebenan das frühere Judenviertel lag. Ihr besitzt einen Stall?«
Johanna nickte. » Den ich natürlich erst ausräumen und herrichten müsste«, sagte sie, » bevor er ein Tier beherbergen kann.«
» Dann tut das!« Seine Stimme klang besorgt. » Ihr seid Euch bewusst, dass ein anständiges Pferd seinen Preis hat? Denn ich habe nicht vor, Euch eine Mähre anzuschleppen.«
» Ich habe einiges zurückgelegt. Reichtümer allerdings sind es keine.«
» Um die sechzig Gulden müsstet Ihr wohl rechnen, womöglich auch ein wenig darüber.«
» Damit könnte ich leben«, sagte sie.
» Dann werde ich zusehen, was sich machen lässt.« Er zog ein Tuch aus seinem Mantel und rieb sich damit die Stirn trocken. » Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
Er hatte uns gesagt.
Johanna spürte, wie eine Welle der Erleichterung in ihr aufstieg. Sie mochte diesen bärtigen Fremden, der ihr vertrauter erschien als andere, die sie schon lange kannte. Severin war offenbar näher mit ihm bekannt gewesen, auch wenn er niemals darüber gesprochen hatte. Ihr Mann war ein guter Menschenkenner gewesen. Auf sein Urteil hatte sie sich immer verlassen können.
» Leider nicht mehr als zwei, drei Tage«, erwiderte sie. » Eine einzige Woche haben sie mir gewährt. Und die ist fast verstrichen.« Die Münzen in ihrer Tasche schienen plötzlich schwerer. » Sollen wir ein Stück beiseitegehen, damit ich Euch das Geld …«
Mitten im Satz hielt sie inne. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Im Kopf spürte sie ein hartes Pulsieren.
Diese Frau dort drüben mit den schlecht gefärbten Haaren und dem schmutzigen roten Kleid,
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