Die Pestmagd
die zwischen den Pfosten stand und zu ihr herüberstarrte – das konnte, das durfte nicht sein! Sie war Teil einer Vergangenheit, die Johanna unter Schmerzen abgestreift hatte, gehörte zu jenem früheren Leben, das mit dem heutigen nichts zu tun hatte. Viele Jahre war es her, seit sie im heftigen Streit auseinandergegangen waren, doch Johanna hatte plötzlich wieder jenen unverwechselbaren Geruch nach Schweiß und billigen Duftölen in der Nase, der stets mit dieser Frau verbunden gewesen war.
» Was ist mit Euch, Witwe Arnheim?«, hörte sie Mendel fragen. » Ihr seid ja auf einmal kreidebleich! Wollt Ihr Euch setzen? Oder soll ich Euch einen Becher Wasser holen?«
» Nein, nein«, sagte sie schnell und rieb sich die Augen. » Es ist nichts. Nur diese Hitze. Mir war plötzlich schwindelig.«
Johanna zwang sich, den Blick zu heben und hinüberzuschauen. Doch die Frau im roten Kleid war verschwunden, als habe sie es niemals gegeben – ein Albtraum, der sich hoffentlich nie mehr wiederholen würde.
» Ihr bezahlt, sobald Ihr Euch für das Pferd entschieden habt«, sagte Mendel ben Baruch. » So halte ich es mit meinen Geschäften.« Er wiegte den Kopf. » Zwei, drei Tage sind eine echte Herausforderung, doch ich denke, wir können sie bewältigen. Sorgt Ihr einstweilen für die Unterbringung! Um den Rest kümmere ich mich.«
» Wieso tut Ihr das alles?«, fragte Johanna leise. » Ihr kennt mich doch kaum!«
In der ruhigen Tiefe seiner dunklen Augen glomm ein Licht.
» Ihr seid die Witwe eines besonderen Mannes«, sagte Mendel. » Genügt Euch das fürs Erste als Antwort?«
x
Die junge Braut strahlte über das ganze Gesicht, als die Gratulanten nach und nach im Baderhaus eintrudelten. Selbst ihr Vater Wenzel Mechthus, Inhaber der Apotheke an den Vierwinden, blickte nicht mehr ganz so verbissen drein wie in den vergangenen Wochen, während seine Frau Grete weiterhin die Lippen zusammenkniff und ihren Unmut offen zur Schau stellte. Ennelin hatte einen Blütenkranz im Haar und trug ein sommerliches grünes Kleid, das mit der breiten Borte unter dem Busen ihren Bauch ungeniert den Blicken preisgab. Erhitzt wirkte sie, leicht aufgelöst, schien sich aber nicht darum zu kümmern, dass Anzüglichkeiten durch den Raum flogen, die den beiden Frischvermählten galten.
» Ein Strohkranz im Haar wäre angebrachter gewesen«, hörte sie eine Frau murmeln. » Denn von Jungfernschaft kann ja hier wohl kaum die Rede sein.«
» Hast dir ja reichlich Zeit gelassen, Bader«, bekam der Bräutigam zu hören. » Noch ein wenig länger – und der Priester hätte die Taufe gleich anschließen können.«
» Trink lieber auf unser Wohl, anstatt weiterhin dumme Reden zu schwingen!«, konterte Ludwig. » Außerdem brutzelt im Hof gerade ein saftiges Ferkel am Spieß. Darum solltest du dich kümmern!«
» Ich hatte schon befürchtet, du lässt meine Tochter im Stich«, sagte Mechthus halblaut. » Ich weiß seit Langem, dass Ennelin sich in dich verguckt hat, trotz der Jahre, die euch trennen – wiewohl ich ihr einen Mann gewünscht hätte, der die Heilige Schrift mehr liebt als du.«
» Die Augen ausgeweint hat sie sich, weil sie geglaubt hat, du wolltest nichts mehr von ihr wissen«, keifte Grete, die näher trat. » Einen Schatz wie sie hast du gar nicht verdient.«
» Ludwig Weißenburg lässt niemanden im Stich.« Der Bader schälte sich aus seiner Schecke, als sei ihm plötzlich zu heiß geworden. » Schon gar keine Schwangere, auch wenn er kein Gelehrter ist, der über den Büchern schwitzt. Mach dir keine Sorgen, Schwiegermutter! Ich werde für Ennelin ebenso sorgen wie für unser Kind, das hoffentlich gesund zur Welt kommt.« Er drehte sich nach seiner jungen Frau um. » Ginge es nach mir, so sollte es lieber heute als morgen geboren werden.«
» Wir beide sind fast im gleichen Alter«, sagte Mechthus zu Ludwig und drängte sein Weib zur Seite. » Keine jungen Böcke mehr, die sich noch die Hörner abstoßen müssen, sondern Männer, die das Leben kennen. So zähle ich auf dein Wort und will glauben, wie ernst es dir mit Ennelin ist. Mein Kind ist mein größter Schatz, fromm, ehrlich, von Herzen gut. Deshalb war ich ja auch so großzügig bei der Mitgift.«
» In meinen Augen ein Fehler«, rief Grete. » Er ist das Mädchen doch gar nicht wert – bei dem Leben, das er führt.«
» Die Mitgift ist hoch, weil ich möchte, dass es unserem Mädchen auch künftig an nichts fehlen soll«, beharrte der Apotheker. »
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