Die Pestmagd
erzeugen. » Und was das Mädchen betrifft, so sollte man …«
Der Mann im dunklen Umhang trat ein paar Schritte zurück, was Vincent verblüffte, ebenso wie das seltsame Geräusch, das dabei ertönte. Eine alte Erinnerung stieg in ihm hoch. So klangen doch nur die Siechenklappern, die Gesunde vor den Aussätzigen warnen sollten …
Leider begriff er viel zu spät, was der andere vorhatte. Der senkte nämlich den Kopf und rammte ihn ihm wie ein Stier in den Brustkorb. Der Schmerz, der in ihm aufflammte, war unerwartet stark und machte ihn wütend. Er ließ seine Tasche fallen, um sich zu wehren, doch seine Arme fühlten sich merkwürdig kraftlos an, und seine Schläge verfehlten zumeist ihr Ziel.
Inzwischen war auch der zweite Mann ganz nah bei ihm. Eine dunkle Kapuze verhüllte seinen Kopf, aber Vincent glaubte, für einen Augenblick etwas auf dessen Wange zu erkennen, was ihn verblüffte. Die Fäuste des Mannes waren groß und flink. Vincent stieß einen schrillen Laut aus, als sie auf ihn niederprasselten. Die beiden Männer schienen bestens aufeinander eingespielt zu sein, als ob sie nicht zum ersten Mal gemeinsam über jemanden herfielen. Jetzt gab es nur noch ein wildes Durcheinander von Armen, Beinen und Fäusten, die mit vereinter Kraft auf ihn losgingen.
Dabei vergaß Vincent irgendwann seine Deckung. Ein weißes Licht zuckte vor seinen Augen auf, als ein Fuß seine Hoden traf. Er spürte, wie seine Atemzüge als lang gezogenes Stöhnen aus seinem Körper wichen. Ein zweiter Tritt, diesmal an seine Schläfe, ließ das weiße Licht schwarz werden.
x
Dass jemand heimlich um seinen Lagerschuppen herumschlich, hatte Hennes schon seit Längerem vermutet. Fußspuren waren ihm aufgefallen, die von keinem Tier stammen konnten, und herumliegende Abfälle, für die es keinerlei plausible Erklärung gab. Nicht weit entfernt lag das Melatenhaus, einst von allen gemiedene Heimstätte der Leprosen. Genau dieser Umstand hatte ihn damals veranlasst, den Lagerschuppen zu erwerben. Inzwischen jedoch hatten die Verhältnisse sich geändert. Nun sollte sich dort räuberisches Gesindel eingenistet haben, so Gerüchte, die in der Stadt kursierten, erpicht auf alles, was sich zu Geld machen ließ. Hennes hatte prompt reagiert, die Schlösser ausgewechselt und sogar verdreifacht – aber was hatten diese Vorsichtsmaßnahmen genützt?
Jemand hatte sie allesamt nachts brachial aufgestemmt und sich Eintritt verschafft. Schonungslos offenbarte ihm das Morgenlicht, dass sein Pelzlager ungebetenen Besuch gehabt hatte. Der ordentliche Stapel mit Fuchsfellen war umgestoßen; überall auf dem gestampften Boden lagen rötliche und silbrige Bälge wüst durcheinander. Auch das kostbare Luchs- und Hermelinrauchwerk lag verstreut herum.
Im ersten Augenblick hätte Hennes am liebsten losgeheult, so groß war sein Entsetzen. Dann jedoch stieg eisige Wut in ihm auf. Einzig und allein Johanna war schuld daran, dass ihm das widerfahren war, weil sie ihm hartnäckig das Lilienhaus verweigerte, wo seine Schätze sicher und geschützt lagern könnten.
Während Hennes schwitzend versuchte, das Chaos zu beseitigen und sich einen Überblick zu verschaffen, was gestohlen worden war, spürte er, wie ihn eine Woge von Rachegefühlen überflutete. Er würde es ihr heimzahlen. Klein wollte er sie sehen, verzweifelt, ganz und gar am Boden – dann würde sie endlich begreifen, was sie ihm angetan hatte.
Eine Vorstellung, die ihn berauschte, stärker als der Wein, dem er bisweilen zusprach, zunehmend widerwillig allerdings wegen der Folgen. Denn er befürchtete stets, die Kontrolle zu verlieren, sobald er betrunken war, und das wollte und konnte er sich nicht leisten. Einzig in Belas Armen gelang es ihm, sich ohne Reue zu vergessen, kostbare Augenblicke, die leider rar geworden waren, seit Rutger Neuhaus ihm in die Quere gekommen war.
Er hatte begonnen, vor sich hinzumurmeln, weil er sonst innerlich geplatzt wäre, als er plötzlich ein Hüsteln hinter sich hörte. Hennes fuhr herum, in einer Hand noch den roten Fuchspelz, den er gerade aufräumen wollte.
» Ihr seid Hennes Arnheim?«, fragte die Frau. » Dann seid Ihr genau der, nach dem ich gesucht habe.«
» Was wollt Ihr?«, erwiderte er knapp. Auf den ersten Blick sah sie ganz und gar nicht nach einer vielversprechenden Kundin aus. » Wie habt Ihr mich überhaupt gefunden? Dies hier ist nicht der passende Ort für Besuche.« Feindselig musterte er sie. Gehörte sie womöglich zu jenen, die ihn
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