Die Pestmagd
für immer getrennte Wege gehen?«
Sabeths selbstvergessenes Wiegen endete abrupt. Sie schien sogar den Atem anzuhalten, um bloß nichts zu verpassen.
Ludwigs Blick wurde weich. » Weißt du das denn nicht, Johanna?«, fragte er.
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In der untersten Truhe fand Vincent, wonach er gesucht hatte. Sein stummer Dank ging an den freundlichen Kaufmann aus Heidelberg und dessen pickeligen Sohn, die auf ihren Wagen den Rest seines Hausstandes sicher nach Köln gebracht hatten. Für einen Augenblick erinnerte er sich an die Frau mit dem geplagten Esel, die sich ihm gegenüber am Rheinufer so großspurig als Heilerin ausgegeben hatte.
Er hatte ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt. Was er besaß, war durchaus mehr, als in ein paar Satteltaschen ging: kostbare Bücher und Schriften, unbezahlbare Salbenrezepturen und Kräutermischungen, vor allem jedoch ein paar Briefe, für die er einst seine Seele gegeben hätte, dazu das umfangreiche Werk über die Franzosenkrankheit, an dem er schon seit Jahren emsig schrieb – aber was ging das eine wie diese an? Langjährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, dahergelaufenen Frauenzimmern gegenüber besonders vorsichtig zu sein. Die Lederhandschuhe und seine alte Maske – zum Glück unversehrt.
Ein schwacher Geruch nach Räucherwerk stieg ihm in die Nase, als er die brüchig gewordenen Leinenbänder am Hinterkopf verknotete. Das sperrige Ding saß ihm reichlich stramm auf der Nase und engte zudem sein Gesichtsfeld ein. Aber hatte es ihm nicht in schweren Zeiten gute Dienste geleistet? Das würde es nun abermals tun müssen, obwohl er inständig gehofft hatte, hier in Ruhe unterrichten zu können und endlich seine Forschungen abzuschließen, sobald er einen geeigneten Wundarzt für das Praktische aufgetrieben hätte.
Trotzdem fühlte er sich erleichtert, nachdem er die Maske wieder abgelegt hatte, um die restlichen Utensilien einer Prüfung zu unterziehen: das scharfe, leicht gekrümmte Messer für den Aderlass, mit dem sich auch überreife Beulen aufschneiden ließen, und das Räucherwerk, mit dem die schlimmsten Ausdünstungen in den befallenen Häusern vertrieben wurden. Von all den Arzneien, die bei einem Ausbruch der Seuche als Heilmittel gehandelt wurden, hielt Vincent denkbar wenig, egal wie lautstark sie auch angepriesen wurden. Sie füllten lediglich die Taschen derer, die sie verkauften, den Kranken vermochten sie kaum oder gar nicht zu helfen.
Im Stehen schlang er den Rest des kalten Breis hinunter, ohne dabei satt zu werden. Ein weiterer Umstand, den er schleunigst ändern musste. Sein Gewand saß bereits locker, und in den Gürtel hatte er zwei neue Löcher schlagen müssen, damit er ihm nicht von den Hüften rutschte. Ein bitteres Lachen blieb ihm in der Kehle stecken: Da war er endlich als Leibarzt des Erzbischofs in Köln gelandet – und die launische Frau Fortuna bestrafte ihn mit einem Aufflackern jener Seuche, die ihn bislang verschont hatte.
Vincent packte seine Tasche.
Köln würde einen Medicus gut gebrauchen können, der angesichts von Bluthusten und schwarzen Beulen, die Gesunde wie Kranke in Todesangst versetzten, nicht gleich den Kopf verlor. Anderseits gab es nur einen einzigen sicheren Weg, um zu überleben – so schnell und so weit wie möglich zu flüchten.
Doch Nele und ihre kranke Mutter warteten auf ihn. Und er wäre nicht Vincent de Vries gewesen, hätte er sich nicht um die beiden gekümmert.
Als er das Haus verlassen hatte, wunderte er sich, dass die Gassen so leer waren, als zögerten die Menschen, nach draußen zu gehen. Obwohl die Gebäude niedriger und ärmlicher wurden, je näher er St. Ursula kam, lag etwas Friedliches über der morgendlichen Stadt. Für einen Augenblick wünschte Vincent sich, die Frau mit den verräterischen Beulen sei nichts als ein Nachtmahr gewesen, den die ersten Strahlen der Sonne vertrieben hätten.
Er war eindeutig auf dem richtigen Weg. Die Taverne mit dem verrosteten Einhorn als Wirtshausschild war ihm schon in der Nacht aufgefallen. Jetzt stand die Tür offen, und die dralle Wirtin mit einer fleckigen Schürze beäugte ihn neugierig.
Vincent ließ sich nicht ablenken. Schräg gegenüber war im ersten Stock das Fenster, von dem aus Nele ihn zu Hilfe gerufen hatte. Er überquerte die Gasse, stieß die Haustür auf und legte schon im Treppenhaus die Pestmaske an. Dann streifte er seine Handschuhe über.
» Ich bin es, der Medicus«, rief er beim Hinaufsteigen. » Du musst keine Angst haben!«
Keine Antwort, was
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