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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ihn zunächst nicht verwunderte.
    Vielleicht hockte die Kleine wie gelähmt neben der Sterbenden. Oder die Mutter war bereits tot, und Nele hatte sich in einen Winkel verkrochen, um ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Er wusste nicht, wie er sie trösten könnte – für das, was ihr gerade widerfuhr, gab es keinen Trost. Wenn sie großes Glück hatte, würde die Seuche sie verschonen, doch insgeheim befürchtete er, auch bei ihr die verräterischen Schwellungen entdecken zu müssen.
    » Wo bist du, Nele?«, rief er, als er die Tür zum Krankenzimmer erreicht hatte. » Ich bin zurück, um dir zu helfen.«
    Alles blieb still, und plötzlich überfiel Vincent ein seltsames Gefühl. Was mochte hier geschehen sein?
    Er stieß die Tür auf, stürzte ins Zimmer. Das Strohlager, die schmutzigen Lumpen, zwei umgeworfene Krüge, Spinnweben und Scherben – das war alles, was er vorfand.
    Keine Sterbende, keine Leiche, nirgendwo ein verängstigtes Mädchen.
    In der angrenzenden Kammer sah es nicht anders aus. Als er den Fuß in einen Lumpenhaufen stieß, traf er auf etwas Lebendiges. Laut quiekend suchte eine große Ratte das Weite. Vincent schickte ihr einen Fluch hinterher. Wo immer diese Tiere waren, folgte auch die Seuche – und in größeren Städten waren sie nahezu überall anzutreffen.
    Wo waren Nele und ihre todgeweihte Mutter hingekommen?
    Nachdenklich ging Vincent zum Fenster, schaute hinaus. Die Wirtin von gegenüber starrte unverwandt herüber und verschwand dann plötzlich nach drinnen, als sie gemerkt hatte, dass er sie beobachtete. Wenn sie so gerne herumspionierte, konnte ihr kaum entgangen sein, was sich hier abgespielt hatte.
    Plötzlich wollte Vincent nur noch ins Freie und sich Gewissheit verschaffen. Er lief zur Tür, die er anstieß, damit sie sich weiter öffnete, als ihm plötzlich auf dem schäbigen Holz etwas auffiel: drei tiefe Kratzer, nebeneinander gesetzt. Auf den ersten Blick hätte man denken können, ein Luchs oder eine große Wildkatze hätten hier ihre Krallen geschärft – aber welches scheue Waldtier schlich schon in eine dicht besiedelte Gegend, um dort seine Spuren zu hinterlassen?
    Maske und Handschuhe zog er im Gehen ab und verstaute sie in seiner Tasche. Dann überquerte er die Gasse und betrat die Taverne » Zum goldenen Einhorn«.
    Der Raum wirkte niedrig und düster, die schweren Holztische waren leer, bis auf einen, an dem trotz der frühen Stunde zwei Männer in dunklen Umhängen zechten. Die Wirtin machte sich an einem Weinfass zu schaffen, um Vincent, so sein Eindruck, nicht gleich ins Gesicht sehen zu müssen. Er ließ sich davon nicht abschrecken, sondern trat so nah heran, dass sie sich unwillkürlich umwandte.
    » In dem Haus dort drüben lag noch vor Kurzem eine Frau im Sterben, und ein Mädchen hat bitterlich um seine Mutter geweint«, begann er ohne Umschweife. » Jetzt sind die Räume ver1lassen. Habt Ihr eine Ahnung, wo die beiden sein könnten?«
    » Ich kümmere mich nicht um fremde Angelegenheiten«, erwiderte sie. » Und bin stets gut damit gefahren.« Aus der Nähe sah man, dass sie älter war, als er zunächst gedacht hatte. Sie sah ihn unter schweren Lidern an und stank aus allen Poren nach billigem Fusel. Offenbar gehörte sie selbst zu ihren besten Kunden.
    » Mir wäre keine Wirtin bekannt, die nicht bestens Bescheid über ihre Nachbarschaft gewusst hätte.« Vincent blieb beharrlich. » Und ich bin, wie Ihr mir glauben könnt, schon weit herumgekommen. Also, was ist mit Nele und ihrer Mutter? Wenn Ihr etwas beobachtet habt, dann heraus damit!«
    Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie ihn loswerden. Er aber rührte sich nicht von der Stelle.
    » Hat jemand die Kranke fortgeschafft?«, drang er weiter in sie. » Vielleicht die Nachbarin? Die kennt Ihr doch sicherlich ebenfalls! Ist sie etwa auch krank geworden? Und wo steckt Nele? Hat sie bei Euch Zuflucht gesucht?« Plötzlich spürte er eine schwere Hand auf seiner Schulter und fuhr herum.
    » Wenn Fygen nicht reden will, dann wird sie schon ihre Gründe dafür haben.« Vincent starrte in ein finsteres Männergesicht. Das rechte Auge war stechend blau, das linke milchig. » Und du lässt sie gefälligst in Ruhe, verstanden?«
    » Genau das kann ich leider nicht«, erwiderte Vincent ruhig. » Die Frau, von der ich spreche, braucht dringend meinen Beistand. Außerdem muss man sie isolieren, damit nicht noch weitere Menschen erkranken.« Mit Absicht hatte er das Wort » Pest« vermieden, um keine Panik zu

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