Die Pestmagd
entsprechenden Schreiben verfassen!«
» Das kann und das werde ich nicht.« Der Erzbischof sprach plötzlich wie im Fieber. » Zu viel steht für uns alle auf dem Spiel. Und habt Ihr nicht vorhin selbst gesagt, dass ohne Leiche nichts unternommen werden sollte?«
Vincent spürte, wie sein Zorn zurückkehrte.
» Leichen verschwinden nicht von selbst«, sagte er. » Da müssen Lebende ihre Hände im Spiel gehabt haben. Irgendwo liegt diese arme tote Frau – und kann, bevor man sie verscharrt, mit ihrem infizierten Leichnam vielen anderen den Tod bringen. Wer sagt uns übrigens, dass sie die Einzige ist?« Herausfordernd schaute er die beiden Kirchenmänner an. » Gab es bereits zuvor Nachrichten über Erkrankte? Die Wahrheit, wenn ich bitten darf!«
Hermann von Wied senkte den Blick, der Kanzler dagegen starrte ihn aus kalten grauen Augen an.
» Ein Fremder auf dem Buttermarkt«, sagte er schließlich säuerlich. » Allerdings liegt das schon eine Weile zurück. Euer Kollege Longolius wollte sich damals übrigens mit seiner Diagnose nicht festlegen.«
» Ihr habt demzufolge nichts unternommen?«, rief Vincent.
» Nein«, sagte der Erzbischof. » Außer den Mann schnell begraben zu lassen.« Er berührte seinen Bauch. » Hab ich Euch schon gesagt, dass ich tatsächlich erste Linderung verspüre, seit ich mir Eure Mittel zuführe? Zum ersten Mal seit Monaten bin ich zuversichtlich, das lästige Leiden besiegen zu können. Ich wünsche mir, dass Ihr den Studenten ähnlich Nützliches in Euren Vorlesungen beibringt.«
Er hatte den Erzbischof gründlich unterschätzt. Überrascht musterte er ihn. Scheinbar nebenbei hatte von Wied Vincents Verpflichtung ins Spiel gebracht, an der Universität zu unterrichten. Wer das als Medicus tat, durfte die Stadt bei Seuchengefahr nicht mehr verlassen, so lauteten die gültigen Verträge.
» Ich werde in mich gehen«, sagte Vincent, » und einer gründlichen Prüfung unterziehen müssen, ob Köln tatsächlich der richtige Ort für mich ist. Noch habe ich keinen Fuß in die Burse gesetzt. Ob sich daran etwas ändern wird, hängt nicht allein von mir ab.«
» Ihr redet sehr frei und direkt.« Die Augen des Kanzlers wurden noch eine Spur kälter.
» Dafür bin ich bekannt«, sagte Vincent ruhig. » In meinem Fach ist es wichtig, rasch zur Sache zu kommen. Nur so verliert man keine kostbare Zeit.«
» Aber Ihr dürft Köln nicht wieder verlassen, Meister de Vries!«, rief der Erzbischof beunruhigt. » Nur Ihr könnt mich wieder gesund machen, das weiß ich.«
» Dazu muss ich allerdings am Leben bleiben.« Vincent deutete eine Verneigung an und strebte zur Tür. » Und genau das habe ich vor.«
» Halt!«, rief vom Hagen. » Was sind Eure Forderungen? Ihr seht doch, wie dringend Seine Exzellenz nach Eurer Hilfe verlangt!«
Vincent hielt an der Schwelle inne.
» Ihr müsstet nach dem Mädchen suchen lassen – Nele ist sein Name. Ich kann Euch beschreiben, wo sie mit ihrer Mutter gelebt hat. Und die Wirtin der Spelunke gegenüber ist unbedingt eingehend zu befragen, denn die weiß mehr, als sie zugibt. Ist erst einmal das Mädchen gefunden, so wissen wir auch, was mit der Mutter geschehen ist, und können gezielt vorgehen.«
» Das klingt wie eine Nadel im Heuhaufen suchen«, sagte der Kanzler unwillig. » Irgendein verlaustes Kind im großen Köln ausfindig machen – wie sollte das gehen? Wenn Ihr mich fragt, so ist es nahezu unmöglich, dass wir erfolgreich sein werden.«
» So nehmt Ihr lieber billigend in Kauf, dass Eure Bürger in ein paar Tagen wie die Fliegen sterben? Dann legt nur weiterhin die Hände in den Schoß und lasst dem Unheil freien Lauf – aber ohne mich!« Die Wucht von Vincents Worten hing wie eine dunkle Wolke im Raum.
» Wartet!« rief der Erzbischof. » Wir werden tun, was Ihr verlangt – aber Ihr müsst bleiben!«
x
Wie sehr er gehofft hatte, in der Kirche ruhiger zu werden!
Hennes Arnheim starrte auf seine roten Hände, die vom Scheuern noch immer brannten. Groß und klobig kamen sie aus den Ärmeln des frischen Hemds hervor, das er nach seiner gründlichen Wäsche angelegt hatte, ebenso wie das braune Wams und die gerafften Hosen, in denen er sich freilich wie ein Stutzer vorkam.
Viel zu lange kniete er schon auf einer der harten Holzbänke von St. Laurentius und versuchte, sein aufgewühltes Inneres zu besänftigen. Doch wie sollte er das bewerkstelligen, wenn seine Blicke immer wieder von den Seitenflügeln des Altars angezogen wurden,
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