Die Pestmagd
führten, nicht im Laufschritt nehmen, sondern musste sie langsam Schritt für Schritt hochsteigen.
Aber auch im ersten Geschoss wollte man ihn aufhalten.
» Ich muss zum Erzbischof!« Vincent versetzte dem mageren Kleriker, der ihm den Weg versperren wollte, einen ungeduldigen Rempler.
» Seine Exzellenz ist im Gebet! Niemand darf ihn jetzt …«
Da hatte Vincent die Tür schon aufgerissen und stolperte in das erzbischöfliche Gemach.
Hermann von Wied ließ das Brevier sinken, in dem er offenbar gerade gelesen hatte. Ein Fenster stand angelehnt. Warmer Wind wehte die Geräusche der Stadt herein.
» Wie darf ich Euren Besuch verstehen, Meister de Vries?«, sagte der Erzbischof säuerlich. » Sollte es übertriebene ärztliche Besorgnis sein, die Euch schon so bald wieder zu mir treibt – in diesem Aufzug?« Missbilligend glitten seine Augen über die ramponierte Kleidung des Medicus.
» Davon kann nicht die Rede sein«, sagte Vincenz. » Ich habe Euch etwas so Wichtiges mitzuteilen, dass mir keine Zeit mehr blieb, mich umzukleiden, nachdem ich überfallen und beraubt wurde.« Wie gern hätte er nach etwas zu trinken gefragt, doch dazu war auch noch später Zeit.
» Ist Euch etwas zugestoßen …«
Mit einer ungeduldigen Geste brachte Vincent den Erzbischof zum Schweigen. » Die Pest ist in der Stadt. In der Nacht hab ich eine schwer Erkrankte besucht, deren Tochter mich zu Hilfe gerufen hat. Doch heute, als ich nach ihr sehen wollte, war sie verschwunden – ebenso wie das Mädchen.«
Überraschend behände sprang Hermann von Wied auf.
» Nicht dieses Wort, ich bitte Euch!« Beschwörend wedelte er mit den Armen, als könnte er damit alles Unliebsame vertreiben. » Ihr müsst Euch irren. Ihr irrt Euch ganz bestimmt!«
Vincent schüttelte den Kopf.
» Die Symptome sind unverwechselbar. Dazu bin ich dieser furchtbaren Seuche schon zu oft begegnet«, sagte er grimmig, » auch wenn die Pest mich bislang aus unerfindlichen Gründen verschont hat. Sie wird nicht besser, wenn man sie totschweigt – ganz im Gegenteil! Ihr müsst auf der Stelle Maßnahmen ergreifen, um Eure Stadt zu schützen. Sonst hebt das große Sterben an!«
» Dazu bräuchten wir allerdings erst einmal die Leiche.« Bernhard vom Hagen war aus einem Nebenraum getreten. » Aber die habt Ihr ja offenbar nicht aufzuweisen, wenn ich mich nicht irre, Medicus de Vries. Trotzdem solltet Ihr alles abblasen, Exzellenz. Diese Delegation darf Köln nicht betreten!«
Unwillig starrte Vincent ihn an.
Dieser Mann gab ihm Rätsel auf. Äußerlich wirkte er untadelig, ein Adeliger vom Scheitel bis zur Sohle. Man munkelte, dass Hermann von Wied seinem Kanzler großes Vertrauen entgegenbrachte, ja, sich von ihm in wichtigen politischen Fragen sogar lenken und leiten ließ. Vom Hagen galt als besonnen und klug. Wie konnte er in diesem heiklen Fall so unvernünftig daherreden?
» Eine einzige Pestleiche kann großes Unheil anrichten.« Vincent zwang sich dazu, nicht aufzubrausen. » Denn die Seuche wird sich rasend schnell verbreiten …«
» Kein Sterblicher weiß, wie genau das geschieht«, fiel der Erzbischof ihm ins Wort. » So ist es doch, Meister de Vries?«
Vincent nickte widerwillig.
» Eure Zunft streitet noch immer, ob es vergiftete Miasmen sind oder ungünstige Sternenkonstellationen, die zum Ausbruch führen. Je öfter man fragt, desto mehr Antworten erhält man.« Hermann von Wied legte die Fingerspitzen aneinander.
» Wir haben keine Zeit mehr, Theorien zu diskutieren«, sagte Vincent grimmig. » Ich weiß, dass die Ansteckungsgefahr wächst, je enger Menschen zusammenleben – und Köln ist eine große, dicht bevölkerte Stadt!«
» Habt Ihr dabei nicht das Wichtigste vergessen?« Hermann von Wied stand plötzlich nah vor ihm. » Gott den Allmächtigen, der unser aller Schicksal lenkt!« Sein Gesicht verzerrte sich, als er weitersprach. » Der Zustand, in den Seine heilige Kirche geraten ist, muss Ihm missfallen, dessen bin ich gewiss. Doch im Geheimen hat sich eine Gruppe Rechtschaffener zusammengetan, um diesem Übel Einhalt zu gebieten. Sehr bald soll sie in Köln eintreffen. Vielleicht kann sie sich eines Tages mit jenen verbinden, die auch hier bereits an das Wort glauben.«
» Köln ist und bleibt die Stadt der heiligen Ursula und der Heiligen Drei Könige«, warf der Kanzler mit seltsamem Unterton ein. » Eine fromme Stadt. Eine katholische Stadt! Ihr müsst diese unseligen Religionsgespräche absagen, Exzellenz. Lasst die
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