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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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mittlerweile an die sechzig Tote zu beklagen waren, hatte ein Bote mittels Sendschreiben nach Immenstadt gebracht. Aber wie bei den Mitteilungen, die der Kastellan zuvor schon in die Residenzstadt hatte bringen lassen, gab es von dort nur kluge Sprüche zu vernehmen – wirkliche Hilfe war bis jetzt nicht gekommen.
    »Feige Bande! Wenn sie uns wenigstens Lebensmittel, Kerzen und Wolldecken schicken würden«, hatte Ulrich Dreyling von Wagrain, nachdem er hatte feststellen müssen, dass die Staufner mit ihren Problemen allein gelassen wurden, enttäuscht geschimpft. Zudem hatte er gehofft, dass sie von Oberamtmann Speen eine außerordentliche Genehmigung zum Holzfällen bekämen, um Särge zimmern zu können und wenigstens diesbezüglich für den Winter gerüstet zu sein. Außerdem wäre es ihm recht gewesen, wenn sich der in solchen Dingen erfahrene Immenstädter Medicus mit den Pesttoten in Staufen befasst hätte. So würde wenigstens eindeutig geklärt werden, ob es sich tatsächlich um die Pestilenz, womöglich aber um eine andere Infektionskrankheit wie die Söldnerkrankheit oder weiß der Teufel was sonst noch für eine Seuche handelte. Im Grunde genommen wusste er, dass die Immenstädter ihren Stadtmedicus selbst brauchten und nicht Gefahr laufen würden, ihn der Pest in einem anderen Ort zu opfern. Dass sie allerdings keinen ihrer Leichenbestatter nach Staufen schickten, ärgerte ihn gewaltig. So war er froh, sich wenigstens auf Fabio verlassen zu können. Und der hatte richtig Arbeit. Da der junge Leichenbestatter mit dem Ausheben der Gräber schon längst nicht mehr nachkam, stapelten sich die Leichen in und vor der St.-Martins-Kapelle, sie verteilten sich sogar schon über dem ganzen Kirchhof. Diejenigen, die bereits ein Familiengrab hatten, veranlassten, dass ihre Toten direkt neben ihren Gräbern abgelegt wurden, damit sie bei der späteren Bestattung nicht verwechselt werden konnten und sie später den oder die richtigen betrauern konnten. Zunächst aber mussten die Hinterbliebenen geduldig warten, bis ihre Verstorbenen, die sie aus Ansteckungsangst vor ihre Behausungen gelegt hatten, abgeholt wurden.
    Dadurch, dass der Spätherbst mit Riesenschritten herbeieilte, wurde die Lage diesbezüglich etwas entschärft. Es wurde von Tag zu Tag kühler. Aber die wärmenden Sonnenstrahlen an den Nachmittagen machten den vormittags kaum merklichen süßlichen Verwesungsgeruch ab mittags zum ekelerregenden Dauerbegleiter der Menschen im Ort.
    Um sich gegenseitig zu warnen, malten sie weiße Kreuze an die Türen der Behausungen, in denen es Tote gegeben hatte. Das handgepinselte Pestkreuz prangte jetzt schon an über dreißig Häusern und Hütten, deren überlebende Bewohner von denjenigen, die noch kein Pestopfer zu beklagen hatten, gemieden wurden.

    *

    Dass das Sterben immer nach dem gleichen Schema ablief, merkten die Angehörigen in ihrer Verzweiflung immer noch nicht. Zu sicher waren sie sich, dass es die Pest sein musste, die einen nach dem anderen holte. So fiel ihnen auch nicht auf, dass der Medicus immer reicher wurde. Er war der Einzige, dem es so richtig gut ging; insbesondere, weil sich die Menschen wegen der Ansteckungsgefahr kaum noch in seinen Behandlungsraum trauten. Jetzt musste er zwar den zeitlichen Mehraufwand für Hausbesuche auf sich nehmen, ließ sich diesen aber fürstlich entlohnen.
    Die Arbeit machte es erforderlich, dass er seine Pestgewandung jetzt tagtäglich trug, was zur Folge hatte, dass er nicht mehr nur vor sich hin müffelte, sondern gotterbärmlich zum Himmel stank. Aber das machte nichts aus. Im Gegenteil: So hielten die Menschen noch mehr Abstand zu ihm als zuvor und rochen seine Schnapsfahne nicht. Dafür, dass er sich die Hausbesuche zusätzlich mit einem halben Gulden bezahlen ließ, zeigten seine Patienten Verständnis. Sie waren froh, dass er überhaupt kam … auch wenn er meistens nur noch dafür sorgen musste, dass die Toten von Fabio abgeholt und ordentlich bestattet wurden. Für ihn lohnte sich die Mehrarbeit, die er durch die Hausbesuche hatte, allemal. Außerdem konnte er bei dieser Gelegenheit direkt vor Ort feststellen, ob es für ihn von Vorteil wäre, die betreffenden Patienten vorläufig noch am Leben zu lassen, um sie weiter zu schröpfen oder ob es besser wäre, sie gleich sterben zu lassen, weil außer den Honoraren für Abholung, Sarg und Beerdigung sowieso nichts mehr herauszuholen war. In mehreren Lederbeuteln, die an seinem Gürtel baumelten – das

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