Die Pestspur
hatte er Til, dem Kräutermann abgeschaut –, führte er die verschiedensten Kräutermischungen bei sich. In seiner Umhängetasche hatte er zurechtgeschnittene Leinenlappen und eine dünne Schnur, um möglichst flexibel zu sein und direkt vor Ort individuelle Sudbeutelchen herstellen und verkaufen zu können.
Bevor es in Staufen richtig losgehen und es zum Höhepunkt dieser ›Pestwelle‹ kommen würde, ließ er sich noch schnell zwei große Gallonen Obstbrand vom Bodensee bringen. Das Geld hierfür hatte er jetzt ja. Und da ihn der Totengräber nicht mehr bremsen konnte, stand er nun ständig unter Alkohol, der ihn immer frecher werden ließ. So war ihm der Gedanke gekommen, in sein Unternehmen zu investieren. Um seiner Arbeit die nötige Aura zu verleihen, hatte er sich sogar seltene Misteln und teuren Weihrauch besorgt. Bevor er mit seiner Behandlung begann, brachte er stets ein Häufchen dieses Räucherwerkes zur Glut und murmelte für das einfache Volk unverständliche Beschwörungsformeln in Latein vor sich hin. Dabei fuchtelte er wie wild mit einem Mistelzweig herum und zerdrückte die weißen Beeren, bevor er sie auf der Stirn seiner Patienten zerrieb. Nach dieser Zeremonie befahl er den Angehörigen, die immergrüne Schmarotzerpflanze direkt über dem Krankenlager aufzuhängen. Dies alles verstärkte die Wirkung seines Angst einflößenden Auftretens ungemein.
Da der Propst mittlerweile selbst nicht mehr wusste, ob es sich nun doch um die Pest oder nur um eine andere ansteckende Krankheit handelte, ging er auf Nummer sicher und betrat schon seit Wochen kein Grundstück mehr. So bekamen die Opfer des durchtriebenen Arztes ihre letzte Ölung in Einzelfällen von der Straße aus, meist aber erst, wenn Fabio sie in die Erde gelegt hatte, und auch das nur noch höchst selten. Um sich ja nicht anzustecken, vermied der überängstlich gewordene Diener Gottes sogar ein Zusammentreffen mit dem Medicus, dem dies natürlich sehr entgegenkam. So konnte er noch ungestörter seiner schändlichen Arbeit nachgehen, als dies bisher schon der Fall gewesen war. Je größer das Leid unter der Bevölkerung wurde, umso mehr wurde seine Arbeit geschätzt, was sich in klingender Münze oder in Form von anderen Werten – die er sich meist in den Kammern seiner Opfer auszugucken pflegte – bezahlbar machte.
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In Staufen starben aber nicht nur die Menschen. Mit ihnen starb auch das von jeher schon bescheidene gesellschaftliche Leben im Ort. Auch der traditionelle Kirbetanz , zu dem sonst immer die ledigen Burschen des Dorfes am Vorabend der Kirchweih in die ›Krone‹ eingeladen hatten, fiel zum ersten Mal aus. Die Menschen verzichteten sogar auf die gegenseitigen Verwandtenbesuche am Kirchweihsonntag, bei denen sie sich immer bewirtet und viel Spaß gehabt hatten. Auch das Marktverbot galt immer noch und traf die Staufner, die jetzt jahreszeitbedingt ihre Felder nicht mehr bestellen konnten, besonders hart. So hatten sie nicht einmal mehr die Gelegenheit, von auswärtigen Händlern Lebensmittel einzutauschen oder zu erwerben … falls sie diese überhaupt noch bezahlen konnten. Dies wäre jetzt der einzige Grund gewesen, die Behausungen zu verlassen, in denen sie sich mehr und mehr verkrochen hatten. Sie konnten nicht wissen, dass sich Reisende sowieso nicht mehr nach Staufen hinein trauten, weil der Kastellan das Problem beim Oberamtmann gemeldet und die Order bekommen hatte, an allen drei Ortseingängen schwarz grundierte Holzschilder aufzustellen, auf die der gräfliche Hofmaler eine Warnung gepinselt hatte:
Gott erbarm sich der Stauffner vor der Pestilenzen unnd schütze unns Reisende die an diesem Ort deß Todts gewahr werden wenn sie den selbigen wider deß Verboths der gräflichen Residentz zue Immenstatt betreten.
Um auch diejenigen, die des Lesens nicht mächtig waren – und dies waren fast alle –, vom Betreten des vermeintlich verseuchten Dorfes abzuhalten, hatte Oberamtmann Speen auf die Schilder auch noch weiße Totenköpfe mit gekreuzten Knochen malen lassen. Als würde dieses Motiv als eindeutiges Todessymbol nicht hinreichend warnen, hatte er auch noch angeordnet, direkt daneben und an allen noch so kleinen Schleichpfaden, die in den Ort hineinführten, die hölzernen Kreuze, die der gräfliche Haus- und Hofschreiner auf die Schnelle zusammengezimmert hatte, aufzustellen. Dies würde zwar keinesfalls die erhoffte Wirkung verfehlen, wäre aber gar nicht nötig gewesen; denn die Kunde, dass die Pest in
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