Die Pestspur
Staufen grassierte, hatte sich längst nicht nur im ganzen Allgäu diesseits und jenseits der Iller, sondern vom Oberschwäbischen aus bis nach Memmingen hinauf und an den Bodensee hinunter, sogar bis in den Bregenzer Wald und in die Schweiz hinein herumgesprochen. Klar, dass sich niemand mehr hierher traute.
Um ganz sicher zu gehen, dass sich kein Auswärtiger – womöglich irgendein übereifriger Berufskollege – in den Ort wagte und aufgrund seines Fachwissens womöglich hinter den Schwindel kam, hatte der Medicus echte Totenköpfe und Menschenknochen vor die Holzkreuze gelegt.
»Wenn das nicht hilft, dann hilft der Teufel«, hatte er zu Fabio gesagt, der nicht ganz verstanden hatte, was damit gemeint war.
*
Durch den Umstand, dass in Staufen Seuchengefahr bestand, blieb der Ort von einem anderen großen Unheil verschont. Wenn auch am 1. September vor der St.-Lorenz-Kirche in Kempten verkündet worden war, das Allgäu sei ›schwedenfrei‹, trieben nach wie vor marodierende Landsknechthaufen und versprengte Reiterscharen ihr Unwesen. Waren es zuerst die Kaiserlichen gewesen, so waren es jetzt die schwedischen Truppen des Generals Horn, die zum zweiten Mal in das westliche Allgäu einfielen und alles verwüsteten, was ihnen in die Quere kam. Sie brachten Leid und Vernichtung in die nahe gelegene Pferdestadt Lindenberg, die schon einmal heimgesucht worden war. Die Lindenberger, die sich vom letzten Bauernaufstand noch nicht erholt hatten, waren von 1622 bis 1626 immer wieder dazu gezwungen worden, kaiserliche Soldaten einzuquartieren und zu verpflegen. Als Lohn dafür hatten die Schweden den Ort bis auf fünf Häuser vollständig niedergebrannt. Sogar die Kirche mitsamt den Taufbüchern und allen Archiven war von den protestantischen Marodeuren nicht verschont geblieben.
Obwohl die wüsten Truppen weder Tod noch Teufel fürchteten, ließen sie Staufen dieses Mal lieber links liegen. Die Schilder an den Ortseingängen zeigten auch hier Wirkung und flößten sogar den hartgesottenen Soldaten, die bei ihren Kriegs- und Raubzügen auch ihre Frauen und Kinder mit sich führten, Respekt ein. Umso brutaler würden sie jetzt, nachdem sie von Buflings aus über die Salzstraße nach Simmerberg und von dort aus den direkten Weg nach Lindenberg weitergezogen waren, wüten.
»Hauptsache, sie lassen uns in Ruhe«, hatte der Moosmannbauer zu seiner Frau gesagt und sich hinter einer Hecke versteckt, als er den wilden Haufen an seinem Acker hatte vorbeiziehen sehen.
Kapitel 31
Als Konstanze routinemäßig die Räume des Herrschaftsgebäudes nach Ungeziefer absuchte, warf sie zunächst nur einen beiläufigen Blick durch ein Fenster des dritten Stockes auf das Dorf hinunter. Der wunderschöne Ausblick inspirierte sie dazu, sich noch einen zweiten Blick auf ihre geliebte Heimat zu gönnen. Langsam schweiften ihre Augen über die mit Landern bedeckten Dächer der Häuser und Hütten. Dabei wurde ihr ganz warm ums Herz. »Ein schöner Morgen«, sagte sie versonnen und begann zu husten.
»Ja, Herrin«, antwortete Rosalinde, die hinter ihr damit beschäftigt war, eine Mausefalle in Position zu bringen und den todbringenden Hebel zu spannen.
»Was wird aus Staufen werden? Wie viele Menschen müssen wohl noch sterben?«, klagte die Kastellanin. Während sie so vor sich hin sinnierte, blieb ihr Blick am Haus des Blaufärbers hängen, was sie schlagartig aus ihren Gedanken riss. Sie kniff die Augen zusammen, weil sie glaubte, vor der Färberei drei Menschen zu sehen. Aufgrund der Entfernung und der blendenden Morgensonne konnte sie allerdings nicht erkennen, um wen es sich handelte.
»Sind dies die Blaufärber mit ihrem Sohn Otward?«, fragte sie geistesabwesend ihre Magd, die nicht wusste, was die Herrin von ihr wollte.
Nachdem Konstanze aufgrund der Entfernung die Personen nicht erkennen konnte, hielt sie es nicht mehr aus. Über eine Woche war seit dem grausigen Fund im Entenpfuhl vergangen, und ihre innere Anspannung wollte einfach nicht nachlassen. Die Neugierde war unerträglich geworden. Aus Sorge um ihre eigenen Kinder ließ sie jetzt alles stehen und liegen und rannte die Stufen ins Erdgeschoss hinunter, riss die Tür auf und trat keuchend in den Schlosshof. »Ulrich! Ulrich! Wo bist du?«, krächzte sie mehr, als sie rief.
Der Kastellan legte sofort sein Handwerkszeug beiseite und eilte seiner hustenden Frau entgegen.
»Was ist denn, meine Liebe?«, fragte er gleichsam besorgt und verunsichert.
»Sei mir nicht
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