Die Pestspur
böse, wenn ich meinen eigenen Rat jetzt selbst nicht mehr befolge und den sicheren Schutz der Schlossmauern verlasse. Ich muss …«
»Nun sag endlich, was los ist, Konstanze«, fiel ihr Ulrich ungeduldig ins Wort.
»Nichts ist los. Was meinst du? … Mich drängt es lediglich zu den Blaufärbern. Ich muss endlich wissen, ob Otward noch lebt«, keuchte sie sichtlich angestrengt.
»Ich verstehe dich zwar nicht, respektiere dennoch deinen Wunsch. Aber warum gerade jetzt?«
Ulrich drückte seine hustende Frau an sich. »Du scheinst mir auch nicht gerade gesund zu sein. Allein lasse ich dich nicht gehen … Weißt du was? Ich begleite dich.«
Konstanze lächelte, legte ihrem Mann eine Handfläche auf die Wange und sagte: »Du bist lieb.«
»Und du hustest immer stärker. Zieh dir etwas Warmes über«, empfahl ihr besorgter Mann, der schon längst gemerkt hatte, dass es mit Konstanzes Gesundheitszustand nicht zum Besten stand.
Sie meldeten sich bei ihren Kindern, dem Gesinde und bei der Burgwache ab und gingen wie ein verliebtes Paar händchenhaltend den Schlossberg hinunter und den leicht geschlungenen Weg durch das Dorf bis zur Kirche. Da es unangemessen war, dass ein Mann seiner Frau öffentlich seine Liebe zeigte, indem er ihre Hand hielt, wäre dies ein ungewöhnliches Bild, wenn es jemand sehen würde. Aber die Straßen waren menschenleer, und so genierten sie sich nicht, ihren Weg zum Färberhaus händchenhaltend fortzusetzen. Sie lösten sich aber schlagartig, als der Propst ausgerechnet in dem Moment aus dem Gotteshaus kam, während sie auf das Kirchenportal zuliefen und im Begriff waren, rechts abzubiegen.
»Wären wir doch nur etwas schneller gelaufen«, flüsterte Ulrich seiner Frau ins Ohr und ließ es sich trotz des auf sie zukommenden Pfarrherrn nicht nehmen, ihr noch schnell ein Küsschen auf die Backe zu drücken.
»Gott zum Gruße, ihr Lieben!«, rief ihnen der priesterliche Freund lächelnd zu und tat so, als hätte er nichts gesehen. »So ein Zufall, dich hier zu treffen, Ulrich. Ich wollte gerade zu dir aufs Schloss«, sagte er und hatte auch schon einen geschäftigen Gesichtsausdruck aufgelegt.
»Grüß dich Gott, Johannes! Was kann ich für dich tun?«, antwortete der Kastellan etwas irritiert im Ton eines gläubigen Katholiken.
»Wir müssen uns dringend über die undurchsichtigen Geschehnisse der letzten Zeit unterhalten. Unser Gespräch duldet keinen Aufschub, da ich nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage immer noch nicht glaube, dass die Menschen an der Pest sterben.«
»Dafür, dass du nicht an die Pest glaubst, hast du aber viel Angst davor«, lästerte der Kastellan.
»Wie meinst du das?«, wollte der Kirchenmann wissen. Dabei zog er seine buschigen Augenbrauen zusammen und verschränkte fast drohend die Arme, während er sich breitbeinig vor seinem wesentlich größeren Freund aufbaute.
»Na ja, man hört so einiges«, schmunzelte Ulrich Dreyling von Wagrain vielsagend.
Bevor sich der Propst empören konnte, ging der Kastellan auf das soeben von ihm Gesagte ein: »Du hast recht, Johannes. Irgendwie glaube ich auch nicht, dass die Pest umgeht. Aber wie kommst du darauf?«
»Weil ich langsam daran zweifle, dass aus dem ehemals stinkfaulen Medicus ein uneigennütziger und fleißiger Arzt geworden ist.«
Der Kastellan stutzte. »Was ist jetzt schon wieder los?«, wollte er wissen, bekam aber anstatt einer diesbezüglichen Antwort nur das zu hören, was er schon wusste.
»Es sieht ganz danach aus, als hätte er sich irgendwie vom Saulus zum Paulus gewandelt und würde den armen Menschen selbstlos helfen.«
»Ja! Er soll nicht einmal Geld dafür nehmen. Das hat mir der Huberbauer, dessen Frau er zweifellos geheilt hat, berichtet. Der alte Huber ist wohl sein größter Verehrer geworden«, bestätigte der Kastellan die Aussage des Propstes.
»Auch ich habe mittlerweile mit vielen Leuten gesprochen, die ihn allesamt loben«, erwiderte der Propst, bevor er kritischer wurde. »Dennoch stimmt irgendetwas nicht. Ein großer Teil der Menschen stirbt scheinbar an der Pest. Nur der Medicus, der in alle verseuchten Häuser kommt und neben Fabio als Einziger direkten Kontakt mit den Kranken hat, wird nicht infiziert. Er berührt seine verseuchten Patienten ganz ungeniert und zerdrückt sogar die Beeren der Druiden auf deren Stirn. Ich bin zwar kein Arzt, weiß aber, dass es bei der Pest Beulen an den Drüsen geben müsste, die furchtbar stinken, wenn sie aufplatzen. Dies war aber
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