Die Pestspur
Mit ihm waren es am heutigen Tag, dem 14. Dezember 1634, neunundsechzig Opfer. Bis dahin hatte der Medicus sein schändliches Spiel erfolgreich weiter gespielt und die Leute nach Gutdünken sterben lassen.
Kapitel 33
Auch wenn keine neuen Toten hinzukamen, lagen immer noch genügend Leichen herum, die versorgt werden mussten. Deswegen waren Fabio und der Pfarrer mehr als beschäftigt. Längst hatte Propst Glatt damit begonnen, der Einfachheit halber nur noch einmal am Tag den noch nicht bestatteten Toten den Segen Gottes zu erteilen und bei dieser Gelegenheit Weihwasser auf die bereits zugeschütteten Gräber zu spritzen. Allerdings lag dies weniger an dessen Überbeschäftigung, als an seiner Heidenangst vor Ansteckung.
Auch wenn Fabio diesbezüglich mutiger war, hatte er seine Arbeit rationalisiert. So hatte er den Sohn des Seifensieders einem Grab beigegeben, in dem noch etwas Platz gewesen war, obwohl darin schon vier Leichen gelegen hatten. Er hatte den Kleinen einfach so hingebogen, dass er umgekehrt zwischen den Füßen der anderen Platz gefunden hatte. Gerne hätte er sich nach den Wünschen der Hinterbliebenen gerichtet und die Toten in deren Familiengräbern gelegt, was ihm aber beim besten Willen nicht mehr möglich war.
Da das Geschäft immer noch über den Medicus lief, bestellte ein großer Teil der Hinterbliebenen die Särge nach wie vor direkt bei ihm. Bei Fabio kamen die Aufträge aber nie an. Somit strich der Medicus für jeden bestellten Sarg zwar einen halben Gulden ein, ließ diesen aber nicht produzieren. Da es auch die letzten Trauernden vorzogen, sich aus Angst vor Ansteckung nicht auf dem Kirchhof sehen zu lassen, würde dieser Betrug jetzt auch nicht mehr auffallen.
»Das Geschäft ist gelaufen«, sagte der Medicus übermütig zu Fabio und meldete sich bei ihm für den Winter ab. Dafür, dass der Leichenbestatter den Rest auch noch erledigen und seinen Mund halten würde, drückte er ihm einen Viertel Taler in die Hand. Grund genug für Fabio, seine Arbeit ordnungsgemäß zu beenden und sich keine weiteren Gedanken zu machen.
»Gut, dass es keine neuen Toten mehr gibt«, sagte er tags darauf zum Propst, der noch nicht so recht daran glauben mochte, dass der Spuk ein Ende haben sollte.
»Hoffen wir, dass dies so bleibt«, entgegnete er alles andere als zuversichtlich und bekreuzigte sich.
»Dann werden es jetzt wohl die letzten Gruben sein, die du ausheben musst«, stellte Fabios Dienstherr, der sich schon Gedanken darüber machte, was er dann mit seinem verlausten Schützling anstellen sollte, fest.
»Gott sei Dank ist bald Feierabend! Da das Erdreich zunehmend gefriert, wird es jetzt immer schwerer, Löcher zu graben. Ich muss fertig werden, bevor der Boden noch härter wird«, keuchte Fabio.
Der Propst konnte nicht wissen, dass es kein Glücksfall und schon gar kein Zufall war, dass es keine Pesttoten mehr gab. Der zunehmenden Kälte war es zu verdanken, dass der Medicus seine Mordserie vorläufig beendet hatte. Diese Tatsache und das Wissen darum, dass die echte Pest mit einsetzender Kälte abebben würde, da der Rattenfloh bei Minusgraden in eine Art Gliederstarre verfiel, waren die Gründe dafür, dass der Medicus von vornherein eine Winterpause eingeplant hatte. Der Arzt wusste, dass es anderen Studierten auffallen würde, wenn die Menschen auch im Winter ungebremst an der Pest sterben würden wie die Fliegen. Und er würde das Kreuzzeichen schlagen, wenn durch Fabio alle Beweise mit zwei oder drei Ellen gefrierender Erde bedeckt worden waren.
Er hatte mittlerweile so viel Geld verdient, dass er sich diese Pause gönnen konnte. Außerdem hatte er in der ›Krone‹ mitbekommen, dass der Schuhmacher Grob die Unentwegten, die nach wie vor ins Wirtshaus gingen, immer wieder gegen die Juden aufhetzte und Schuldige für die vermeintliche Pest suchte.
»Die Juden haben schon bei der ersten großen Pestwelle im vierzehnten Jahrhundert die Brunnen vergiftet!«, lautete eine seiner immer wiederkehrenden Hetzparolen, die jetzt langsam zu wirken begannen.
Der Medicus, der die dummen Sprüche des fiesen Lederers nicht mehr hören konnte und als Einziger wusste, dass es sich bei der Leiche vom Entenpfuhl nicht um den Totengräber gehandelt hatte, grübelte derweil immer noch darüber, um wen es sich bei der Wasserleiche gehandelt haben könnte und ob Ruland Berging etwas damit zu tun hatte. Am meisten aber störte ihn, dass er nicht wusste, wo sein ehemaliger Kumpan abgeblieben war.
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