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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Der Medicus machte sich Sorgen darüber, dass er unverhofft wieder auftauchen und ihm eine saftige Provision abknöpfte. Wenn ihn diese Frage nicht ständig beschäftigen würde, wäre ihm sauwohl gewesen.
    Bald ist Weihnachten; eine gute Zeit, um die Menschen wieder auf bessere Zeiten hoffen zu lassen. Und nach dem Winter werde ich mein erfolgreich begonnenes Werk fortsetzen, nahm er sich vor, während er hämisch in sich hinein grinste.

    *

    Obwohl ihn der Propst, der Kastellan und auch Otto eine ganze Zeit lang heimlich beobachtet und die Familien der Kranken und Toten unauffällig über den Arzt und dessen Arbeit ausgefragt hatten, dürfte es jetzt zu spät sein, ihm etwas nachweisen zu können. Genau genommen wussten sie nicht einmal, welcher Verbrechen sie ihn überhaupt verdächtigen sollten.
    »Jetzt, da die letzten Pesttoten begraben sind, ist die Sache gelaufen«, stellte der Kastellan ernüchtert fest. »Dann werden wir ihm wohl niemals etwas nachweisen können … es sei denn, wir buddeln ein paar Tote wieder aus.«
    »Was ein sacrilegium wäre«, schrie der Priester empört auf. »Und außerdem stecken wir uns bei dieser Gelegenheit an … Bist du verrückt? Ich jedenfalls versündige mich nicht«, wehrte er entschieden ab und tat das, was er am Besten konnte: Er bekreuzigte sich. Wie oft er sich seit Ausbruch der vermeintlichen Pest bekreuzigt hatte, dürfte wohl auf keine Kuhhaut mehr gehen.
    Während der Kastellan Blut geleckt hatte und in seinem Innersten hoffte, dem durchtriebenen Arzt irgendwie auf die Schliche zu kommen, hatte der Propst längst resigniert. »Wie viele Leute haben wir nun schon befragt? Und alle haben nur Gutes über den Medicus gesagt.«
    Sie mussten sich jetzt eingestehen, dass es ihnen nicht gelungen war, Beweismaterial gegen ihn zu sammeln, geschweige denn ihn zu überführen. Bis auf einen bitteren Geschmack war nichts geblieben.

    *

    Vor einer Woche war der Letzte einer perfiden Inszenierung, die in dieser Form als perfektes Schauspiel und Drama zugleich Weltpremiere gefeiert haben dürfte, zum Opfer gefallen. Da seither tatsächlich keine Pesttoten mehr zu verzeichnen waren und der Medicus allerorten plausibel erklärt hatte, dass die Seuche wegen der Kälte zum totalen Erliegen gekommen war, schöpften die geschundenen Herzen der Überlebenden wieder etwas Hoffnung. So wie man es von der Adventszeit vergangener Jahre her gekannt hatte, wuselte es allerdings nicht auf den Straßen und Wegen. Wie sollte es auch: Immerhin war die Bevölkerung Staufens um fast siebzig Personen geschrumpft. Dennoch kam jetzt zunehmend Bewegung ins Dorf. Hier und da hörte man sogar Gelächter, das von den Hauswänden in den engen Gassen widerhallte. Die Angst saß zwar noch in den Köpfen, war aber teilweise schon der Neugierde gewichen. Einzelne besuchten sich bereits wieder gegenseitig, um zu erfahren, wen es alles erwischt hatte. Man bemitleidete sich und betrauerte gemeinsam die Toten, wenngleich sich nach wie vor niemand auf den Kirchhof wagte. Selbst wenn in einem Haushalt niemand gestorben war, so waren doch mehr oder weniger nahe Verwandte, zumindest aber Freunde oder Bekannte, betroffen. Die Menschen trauten dem Frieden noch nicht so recht. Dennoch waren einige unter ihnen schon wieder guten Mutes.
    Da Weihnachten vor der Tür stand, verflog die Trübsal bemerkenswert schnell. Zumindest hatte dies den Anschein. Einer half dem anderen. Manche der mehr als knapp gewordenen Lebensmittel wechselten die Besitzer. Wer eine warme Decke erübrigen konnte – was kaum vorkam –, tauschte sie gegen etwas anderes ein. Da es insbesondere an Nahrungsmitteln fehlte, taten sich die Männer zusammen und gingen gemeinsam zum Wildern.
    »Der Graf ist sowieso nicht da, und der Herrgott wird’s uns schon verzeihen«, war ihre Überzeugung, die sie lauthals hinausschrien, während sie Schlingen, Knüppel und Sicheln oder anderes Werkzeug hervorkramten.
    Die Frauen blieben im Dorf und kümmerten sich um ihre Haushalte. Vor fast allen Behausungen standen Zuber, in denen sie sämtliche Gewandungen einweichten und wuschen, um sicherzustellen, dass auch nicht die geringste Pestspur darin hängen bleiben würde. Böden, Wände und Decken reinigten sie mit Essigwasser oder verdünntem Kalk. Die Frauen putzten damit sogar die Fensterläden und die Türen von außen, wo sie auch die eilig hingepinselten Pestkreuze abschrubbten, während sie selbst immer wieder das Kreuz schlugen und Dankgebete murmelten. Die

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