Die Pestspur
Fleischaufteilung.
»Nein!«, konterte der Kastellan entschieden. »Ich habe dem Grafen einen Treueeid geschworen und werde mich – schon gar nicht im Beisein meines ehrenwerten Sohnes – der Untreue und der Bestechlichkeit schuldig machen. Unter anderen Umständen hätte ich Euer Angebot gerne angenommen.«
Da der Bauer aber nicht lockerließ, entschied der Kastellan: »Also gut … Dann gebt mir den Pansen!«
»Was! Ihr möchtet die Kutteln, um von Eurem Weib das Armeleuteessen bereiten zu lassen?«
»Ja! Vor dem Krieg konnten wir es uns leisten, dass wir nur die saftigen Fleischstücke verarbeitet und verspeist haben und sich nur die Ärmsten der Armen mit den Magenwänden der Kühe begnügen mussten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Auch wenn Ihr jetzt das Fleisch einer ganzen Kuh habt, rate ich Euch, sparsam damit umzugehen. Wir wissen nicht, ob noch schlechtere Zeiten auf uns zukommen.«
Eginhard nickte und sagte: »Ich habe auf meinem Weg von Bregenz hierher viel Elend gesehen.« Damit tat er seine Meinung kund, dass sich die Zeiten wohl noch lange nicht bessern würden.
»Da hört Ihr es von einem Studiosus! – Richtet Euch also danach.« Der Kastellan ging davon aus, dass der Bauer haushalten und einen Teil des Fleisches einpökeln oder mit Hilfe der winterlichen Kälte haltbar machen würde.
Da die Sache geklärt war und Eginhard zum Gehen drängte, verabschiedeten sich die beiden.
Während des Heimrittes zollte der Sohn dem Vater Respekt für dessen vorbildliches Verhalten und bat ihn, nachdem sie im Dorf angekommen waren, sein Pferd mit nach Hause zu führen, damit es Lodewig und Diederich abreiben und füttern könnten. Er wollte jetzt endlich den geplanten Rundgang durch sein Heimatdorf machen.
*
Seit sich die Menschen zunehmend auf die Straße trauten, verbesserte sich die Stimmung unter der Bevölkerung weiter. Einerseits wollten die Leute das Geschehene möglichst schnell vergessen, konnten dies aber noch nicht, weil die Trauerfälle viel zu frisch waren. Andererseits wollten sie die schrecklichen Erlebnisse aufarbeiten, indem sie einander ihre eigenen Leidensgeschichten erzählten. Je mehr sich die Menschen miteinander unterhielten, umso öfter kam der Verdacht auf, dass es sich vielleicht doch nicht um die Pest gehandelt haben könnte.
»Wenn dies so wäre, hätte der Medicus ein falsches Spiel mit uns gespielt«, vertraten schon die ersten ihre Meinung unter vorgehaltener Hand.
Andere hingegen konterten, dass der Arzt stets gesagt hatte, er wisse es selbst nicht genau.
»Er hat nie behauptet, dass es die Pest ist. Außerdem wollte er sich nicht bereichern und hat immerhin etliche mittellose Kranke untersucht, ohne sich dafür entlohnen zu lassen.«
»Aber letzten Endes hat er doch Geld dafür genommen«, warf der Schuhmacher ein, der es nicht lassen konnte, die Gelegenheit zu nutzen, um doch wieder Unruhe zu stiften.
Auch wenn jetzt der eine oder andere Verdacht gegen den Arzt laut wurde, wollten dem die Menschen jetzt, da Weihnachten vor der Tür stand, nicht weiter auf den Grund gehen.
*
Im kleinen Flecken am Fuße des Staufenberges kannte natürlich jeder jeden. Und so erkannte man sofort denjenigen wieder, der Staufen für eine Zeit lang den Rücken gekehrt hatte, aber immer noch ein Einheimischer war. So konnte Eginhard nicht unbehelligt durch den Ort spazieren. Alle paar Schritte musste er stehen bleiben und ein Schwätzchen halten. Die Staufner freuten sich, ihn zu sehen, und ließen sich durch seine interessanten Erzählungen nur allzu gerne von ihrer eigenen Trübsal ablenken. Überall, wo Eginhard seinen Weg unterbrach, um zu plaudern, bildeten sich sofort kleine Grüppchen. Neugierig wurde er von seinen alten Freunden und Bekannten ausgefragt. Sie wollten nicht nur wissen, wie es ihm ging, sondern waren auch begierig zu erfahren, was er über sein Studium und das ferne Bregenz zu erzählen hatte.
»Schwätzt ma im Üsland au üsländisch?«, wollte einer der Dörfler, der schon vor dem Krieg von Oberstdorf hierher gezogen war und den selbst die alten Staufner nicht immer verstanden, wissen.
Eginhard musste herzhaft lachen, bevor er antworten konnte. »Nein, Herr Boxler, man redet in Vorarlberg ein Deutsch, das ich besser verstehe als Eures!«
Nachdem er dies gesagt hatte und der ehemalige Oberstdorfer ein »Aha! Deanaweag« herausgepresst hatte, mussten auch die anderen lachen.
Da zwängte sich ein Bursche zwischen den anderen hindurch und fragte: »Ist
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