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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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bemerkte Hannß Opser beiläufig, als er zum Fenster hinaus schaute. Aber er hatte nicht nur nach dem Wetter geschaut, sondern auch nach dem, was sie sich beide herbeisehnten. Aber niemand hatte ihm entgegengewunken. Jetzt war auch dem Blaufärber klar, dass er seine Frau nicht mehr beruhigen musste, sondern nur noch trösten konnte. Da sein Sohn nicht gekommen war, ging er wortlos in den Stall und in die Tenne, um einige Vorbereitungen zu treffen.
    Obwohl heute der Tag Christi Geburt war, hatte sich Gunda Opser bewundernswert zusammengerissen und war zum ersten Mal wieder aufgestanden. Sie hatte verstanden, was ihr Mann vorhatte. Deswegen hatte sie sich sogar gewaschen und sich – ohne mit ihrem Mann darüber gesprochen zu haben – besonders dick gewandet. Nachdem ihr Mann schon vor Stunden den Herd geschürt und Wasser geholt hatte, wollte sie noch schnell eine Brotsuppe bereiten. Da nur noch hartes Brot im Haus war, wäre etwas anderes sowieso nicht machbar gewesen. Als ihr Mann von den Wirtschaftsräumen zurückkam und sie zum Ausgehen gewandet am Herd stehen sah, wusste er, dass sie ihn verstanden und dass sie denselben Gedanken gehabt hatte.
    »Ja, Gunda! Wir fahren ihm entgegen«, sagte er und drückte seine Frau an sich.
    »Meine ganze Liebe gehört dir und den Kindern«, antwortete sie mit ungewohnt starker Stimme, in der so viel Hoffnung mitschwang, dass sie auch den knorrigen Mann ergriff.

Kapitel 36

    Da die Juden kein Weihnachtsfest im Sinne von Christi Geburt kannten, wurde bei den Bombergs auch nicht gefeiert. Würden sie in einer Stadt leben, in der es eine Glaubensgemeinschaft gäbe, hätten sie mit Freunden das häusliche Chanukka-Lichterfest gefeiert. Jetzt aber begannen erst einmal neunundzwanzig Fastentage, die an den Beginn der Belagerung Jerusalems erinnerten. Und Fasten konnte man auch zu Hause im Kreise der Familie. Einen dicken Wanst konnte sich aufgrund des nicht gerade üppigen Nahrungsangebotes außer dem Adel sowieso niemand anfressen. So fragte sich Jakob Bomberg das eine oder andere Mal, ob es derzeit überhaupt einen Sinn hatte, seinen Glauben genau nach den vorgeschriebenen Gesetzen zu leben. Auch Sarahs Mutter fand es ganz gut, dass es hier keine Glaubensgemeinschaft und keine Synagoge gab. So konnten die Bombergs ihrem Gott Jahwe in aller Stille dienen, ohne unnötig aufzufallen.

    *

    Sarah und Lodewig war es einerlei, dass sie zweierlei Religionen angehörten. Sie liebten sich und wollten sich so oft als möglich sehen … und fühlen. So schlich sich Lodewig am Vormittag wieder einmal aus dem Schloss, um Sarah vor den Weihnachtsfeiertagen noch einmal zu treffen. Hierzu hatten sie sich an ihren Lieblingsplatz in Bombergs Scheune zurückgezogen, sie plauderten und lachten leise, bevor sie vorsichtig damit begannen, Zärtlichkeiten auszutauschen.
    »Es tut mir leid, dass wir uns die nächsten Tage nicht sehen können«, entschuldigte sich Lodewig im Hinblick auf die Feiertage.
    »Ich bin immer in Gedanken bei dir«, sagte Sarah und kuschelte sich ganz eng an ihn. Sie mochte ihren Liebsten zwar immer in ihrer Nähe haben, zeigte aber Verständnis dafür, dass Lodewig sie nicht besuchen konnte – zumal Eginhard im Schloss war.
    Während für die Bombergs die Weihnachtstage fast wie alle anderen Werktage ablaufen würden, waren sie für die Dreylings von Wagrain etwas ganz Besonderes: Lodewig hatte sich vom Stallknecht Ignaz schon in aller Früh Heu geben lassen, damit er das Fatschenkind für den Heiligen Abend weich betten konnte. Da er in knapp einem Monat achtzehn Jahre alt sein würde, sollte er in Mutters Auftrag diese Aufgabe noch heuer in die Hände seines kleinen Bruders übergeben – so wie er diese Aufgabe einst von Eginhard übernommen hatte. Deswegen würde Diederich, wenn Lodewig wieder im Schloss war, nicht von seiner Seite weichen und seinem großen Bruder aufmerksam über die Schulter sehen, um alles mitzubekommen, was er wissen musste, falls er nächstes Jahr für diese ehrenvolle Aufgabe zuständig sein würde.

    *

    Über viele Jahre hinweg waren die Dreylings von Wagrain auf persönliche Einladung des Grafen am Stephanstag nach Immenstadt kutschiert, um die Weihnachtsgrüße der Staufner Untertanen zu übermitteln. So nach und nach hatte sich daraus ein kleines Fest mit einem dementsprechend üppigen Mahl, feinen Getränken und sogar mit dezenter Musik entwickelt.
    Gerade für Konstanze waren diese Einladungen Balsam für die Seele und Bestätigung dafür,

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