Die Pestspur
besonders stark ein und ließen die Türen offen, damit die Wärme in die Schlafkammer strömen konnte. Eginhard bereitete einen Kräutersud zu, den der Vater der Kranken nach und nach einflößte.
Als sie dabei zwischendurch einmal die Augen öffnete, flüsterte sie mit schwacher Stimme: »Ulrich, bitte! … Geh zu den Opsers und sieh nach, was dort los ist. Ich glaube, sie haben sich Gott empfohlen.«
Als der Kastellan dies hörte, schluckte er, ließ sich sein Entsetzen aber nicht anmerken, um seine Frau nicht noch mehr zu beunruhigen.
»Ja, meine Liebe, ich gehe noch heute ins Dorf hinunter. Aber jetzt schlaf dich erst einmal richtig aus. Du bist zu erschöpft, um zu reden.«
Er hatte seinen Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als Konstanze in tiefen Schlaf sank.
»Keine Sorge, Vater. Das wird ihr helfen«, sagte Eginhard leise, während er einen Arm um seine Schulter legte, um ihn sanft aus der Schlafkammer zu schieben.
Als der Vater in die Küche kam, waren Lodewig und Rosalinde damit beschäftigt, den schluchzenden Diederich zu beruhigen. Er durfte kurz zu seiner Mutter, um ihr die Wange zu streicheln und ihr ein Küsschen zu geben. Danach ging es ihm wieder etwas besser.
Zu seinen ältesten Söhnen sagte der Vater, Eginhard solle in der Wohnung bei der Mutter bleiben und Lodewig ihm und dem Knecht weiter beim Schneeräumen helfen.
»… und wenn wir damit fertig sind, gehen Eginhard und ich kurz ins Dorf hinunter. Wir haben dort etwas zu erledigen.«
Damit Diederich abgelenkt wurde, musste auch er mit in den Schlosshof. Während Lodewig und Ignaz dem Kastellan fleißig zur Hand gingen, legte sich der Kleine in den Schnee und zeichnete mit seinen Armen Engelsflügel ins Weiß. Es hatte den Anschein, als würde er alles um sich herum vergessen.
»Bist du wahnsinnig!«, brüllte der Vater entsetzt. »Musst du dich jetzt auch noch erkälten? Reicht es nicht, wenn deine Mutter sterbenskrank ist? Steh sofort auf!«
»Aber Mama stirbt nicht. Der Schutzengel behütet sie«, schluchzte der Kleine, während er aufstand und weinend auf sein Kunstwerk deutete.
»Ist ja schon gut«, entschuldigte sich der Vater, der gemerkt hatte, dass er sich aus Sorge um die Gesundheit seiner Frau und seines Jüngsten im Ton vergriffen hatte. Sanft drückte er Diederich an sich. »Nein, mein Sohn, Mama stirbt nicht«, tröstete er den Kleinen, obwohl er sich gar nicht so sicher war. Er wusste, wie schnell eine Entzündung der inneren Atemorgane gerade im Winter zum Tod führen konnte. Als sein Großvater ›den kalten Zug‹ bekommen hatte, war er innerhalb weniger Tage daran gestorben.
Eginhard war in der Wohnung geblieben, um ständig Holz nachzulegen und bei Bedarf seiner Mutter beizustehen. Da der Kastellan wusste, dass sich sein ältester Sohn sehr gut mit den verschiedensten Heilkünsten auskannte, vertraute er ihm voll und ganz.
»Geht ihr nur Schnee räumen. Ich sorge dafür, dass Mutter alles bekommt, was sie benötigt«, hatte Eginhard seinen Vater beruhigt, bevor dieser auf sanften Druck hin mit Lodewig und Diederich nach draußen gegangen war. Nachdem er seine Mutter abgehorcht hatte, war Eginhard selbst allerdings alles andere als beruhigt. Er hatte schnell erkannt, dass sie wohl schon seit längerer Zeit mit krankmachenden Kräften zu kämpfen hatte … und dies, obwohl er noch nicht einmal bemerkt hatte, dass seine Mutter Blut spuckte. Er würde all sein Können und Wissen aufbieten müssen, wenn er ihr Leben retten wollte. Um seinen Vater und seine Brüder nicht noch mehr zu beunruhigen, beschloss Eginhard, ihnen vom wahren Gesundheitszustand der Mutter vorläufig nichts zu sagen.
*
Auch Lodewig musste seine Gedanken von der kranken Mutter weglenken. Deswegen gönnte er sich den ganzen Nachmittag über keine Pause und bürdete sich mehr Arbeit auf, als ihm von seinem Vater aufgetragen worden war. Er schaufelte so lange, bis eine breite Gehspur entlang des ganzen Weges bis zum Dorf hinunter geräumt war. Dies tat er allerdings nicht ganz uneigennützig: Judith und Sarah sollten sich schließlich nicht den Berg hochmühen müssen, falls sie zu Besuch ins Schloss kommen wollten.
»Lodewig, du weißt, was du zu tun hast. Ich gehe mit Eginhard zum Färberhaus. Achte in Vertretung deines älteren Bruders sorgsam auf Mutter!«, wies der gleichsam besorgte und unruhig hin und her laufende Vater seinen Zweitgeborenen an, bevor er sich den Umhang überwarf und die bunte Lappenkappe vom Holzhaken hinter der
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