Die Pestspur
Wohnungstür nahm, was trotz der momentanen Situation ein Grinsen auf die Lippen seiner beiden Söhne zauberte.
»Das muss Mutters Fährte sein«, konstatierte Eginhard versehentlich in bester Jägersprache und berichtete seinem Vater, dass sie zwischendurch immer wieder aufgewacht war und ihm zwar abgehackt, aber verständlich erzählt hatte, dass sich die Blaufärber wahrscheinlich selbst umgebracht hatten und tot in der Wohnung liegen würden. »Ich wollte es dir nur nicht vor den anderen sagen.«
»Somit wissen wir, was uns gleich erwartet«, murmelte der Vater, während sie stumm weitergingen. Wie zuvor schon Konstanze, hämmerten sie erst an die Eingangstür, bevor sie an die Fenster klopften und nach den Blaufärbern riefen. Da sich nichts rührte, versuchten sie die Haustür zu öffnen.
»Verschlossen!«, stellte der Kastellan fest.
Sie gingen rechts um das Haus herum zur Tennenauffahrt . Das schwere Schiebetor war zwar geschlossen, sie konnten es aber auf einer Seite so weit nach außen ziehen, dass Eginhard hineinfassen und den Haken aus der Halterung heben konnte. Sie schoben das Tor ein Stückchen zur Seite und schlüpften hinein.
Ihre Augen mussten sich erst an die beklemmende Dunkelheit gewöhnen. Es roch merkwürdig.
»Färbemittel und Lauge«, stellte der Kastellan so fachmännisch fest, als hätte er Ahnung vom Stofffärben.
Sie tasteten sich durch die Tenne und stiegen die Treppenstufen zu den Wohnräumen hinunter.
Als sie in die Küche kamen, berührte der Kastellan das verkohlte Holz in der offenen Feuerstelle.
»Kalt! Die wurde schon länger nicht mehr benutzt.«
Überall stand gebrauchtes Geschirr herum. Auf dem Tisch machten sich ein paar Ratten an etwas zu schaffen.
Dass sich die beiden unwohl fühlten, lag nicht nur an dem, was sie zu erwarten glaubten. Das Halbdunkel der Räume, der ungewohnte Geruch, die unliebsamen Nagetiere und überhaupt die unheimlich anmutende Atmosphäre eines kalten, leeren und fremden Hauses ließen sie erschaudern.
»Weiter!«, gebot der Kastellan, während er sicherheitshalber seinen Dolch aus der Scheide zog.
Vorsichtig betraten sie einen Raum nach dem anderen und sahen sich darin um, konnten aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Als sie alle anderen Zimmer durchsucht hatten, standen sie vor der Schlafkammer. Aus einer Vorahnung heraus hatten sie sich diesen Raum bis zum Schluss aufgespart. Sie sahen sich zögernd an. Keiner wollte der Erste sein. Beide atmeten tief durch, bevor sich der Vater endlich ein Herz fasste und mit einer Hand an die Tür klopfte.
»Ist hier jemand?«
Da niemand antwortete, drückte er so fest an die Tür, dass sie quietschend nach innen aufsprang und krachend an die Wand schlug.
Der Kastellan wollte etwas sehen, ohne gleich den Raum betreten zu müssen und ging deswegen nur einen halben Schritt nach vorne.
»Was ist?«
»Nichts!«
»Was heißt das – ›nichts‹!«
»Einfach ›nichts!‹«
Als auch Eginhard in den Raum sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen. In der elterlichen Schlafkammer war niemand und – außer großer Unordnung – nichts Auffälliges zu sehen.
»Gott sei Dank. Keine Selbstmorde! Keine Toten«, konstatierte Eginhard sachlich. Ihm kam das Ganze ebenso merkwürdig vor wie seinem Vater.
»Sehen wir uns noch im Stall um, bevor wir wieder gehen«, schlug der Kastellan vor.
Wie die anderen Räume, war auch der Stall kalt und leer.
»Besitzt Hannß Opser eine oder zwei Ziegen?«, fragte Eginhard, worauf der Vater nur mit den Achseln zuckte und die Mundwinkel nach unten zog.
»Das weiß ich nicht! Ich weiß nur, dass er zwei Maultiere hat«, antwortete der Kastellan, während er seinen Dolch in die Scheide zurücksteckte.
»Dann ist der Blaufärber kein armer Mann«, mutmaßte Eginhard.
»Wie man’s nimmt.«
Auch im Hühnerstall war – außer überall verstreuten Eierschalen – nichts Ungewöhnliches zu sehen.
»Eigenartig, dass kein einziges Huhn im Stall ist«, wunderte sich der Kastellan.
»Vater! Sieh mal dort.« Eginhard zeigte in die Richtung, in der er soeben Federn und eingetrocknetes Blut bemerkt hatte.
»Dies könnte darauf hindeuten, dass ein Fuchs die Hühner des Blaufärbers geholt hat.« Der Kastellan sah sich weiter um. »Die Maultiere sind offensichtlich auch nicht da! Hast du in der Tenne einen Schlitten oder einen Karren gesehen?«
Eginhard schüttelte den Kopf.
»Schlitten ist keiner da. Aber ein Ladewagen.«
»Aha!« Der Kastellan drückte den Zeigefinger auf
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