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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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kümmern können?

    *

    An diesem Vormittag schob Siegbert Wache. Gerade als er die Hellebarde beiseite legte, um seine Finger anzuhauchen und die Arme wärmend um seinen Körper zu schlagen, hörte er ein Geräusch … oder war es ein Schrei? Er konnte zunächst nicht orten, um was es sich handelte und aus welcher Richtung es kam. So stieg er vom Wehrgang herunter, um nachzusehen.
    »Wohin des Weges bei dieser Saukälte?«, fragte ihn der Kastellan, der mit Ignaz und seinen Söhnen mit der Schneeräumung beschäftigt war, lachend.
    »Ach, ich habe nur etwas gehört und möchte deswegen zum Flecken hinunterschauen«, antwortete Siegbert in bewusst beruhigendem Ton.
    Schnaufend hastete er die Stufen des Nordturmes hoch, um einen guten Blick auf die zum Schloss führende Straße zu haben. Da ihn die Sonne blendete, sah er zwar etwas Dunkles im glitzernden Schnee, konnte aber nicht erkennen, was es war. Indem er seine Augen abwechselnd zusammenkniff und zu Schlitzen verengte, während er den Blick nicht mehr von dem dunklen Knäuel ließ, gewöhnten diese sich an das gleißende Licht, und er erkannte, dass es sich um einen Menschen handelte, der regungslos im Schnee lag. Sofort öffnete er ein Fenster zum Schlosshof hin und rief aufgeregt hinunter: »Herr! Herr! – Kommt schnell!«
    »Was ist, Siegbert?«, wollte der Kastellan, der den Unterton in der Stimme seiner Schlosswache richtig deutete, wissen.
    »Ich weiß nicht genau. Dort unten scheint ein Mensch mitten auf dem Weg zu liegen.«
    Eilig begab sich der Kastellan auf den Turm und folgte mit den Augen Siegberts Zeigefinger. Zunächst erging es ihm wie seinem aufmerksamen Wachhabenden: Er sah überhaupt nichts. Als sich aber auch seine Augen an das gleißende Weiß gewöhnt hatten, schrie er: »Um Gottes willen … Konstanze!«
    Laut rief er nach seinen Söhnen, die sofort herbeieilten. Er bat Siegbert, auf Diederich aufzupassen und rannte in den Schlosshof zurück.
    »Diederich, du bleibst bei Siegbert! Eginhard, Lodewig und Ignaz: ihr kommt mit mir!«
    Der Jüngste war zwar nicht der schlauste, erkannte aber sofort an der Stimme seines Vaters, dass etwas nicht in Ordnung war, und lief, ohne Fragen zu stellen, zu Siegbert, während Ignaz geistesgegenwärtig eine Decke aus dem Stall holte und den anderen folgte. Sie hasteten aus dem Schloss den Berg hinunter.
    »Was ist los, Vater?«, plusterte Lodewig, nachdem er gestolpert war, sich wieder aufgerichtet und den Schnee aus dem Gesicht gewischt hatte.
    »Ich weiß nicht genau!« Er zeigte in Richtung des Dorfes. »Ich glaube, dass dort eure Mutter liegt.«
    Diese vage Feststellung beflügelte die vier, so schnell wie möglich nach unten zu gelangen. Tatsächlich: Es war Konstanze.
    »Um Gottes willen … Nein!«
    Die Buben begannen sofort, den Schnee von ihr und um sie herum wegzuscharren, während Ignaz hastig die Decke über ihren Körper warf. Ulrich zog seine Fingerlinge aus und berührte zittrig ihre glühende Stirn.
    »Sie hat die Hitze!«, stellte er entsetzt fest.
    »Sieh doch, Vater«, sagte Eginhard mit ruhiger Stimme »Mutter atmet.«
    Jetzt erst sahen alle die zarten Atemwolken, die sich – kaum Konstanzes Mund entwichen – mit der vor Kälte klirrenden Luft vereinten.
    »Gott sei Dank. Sie lebt und ist nur besinnungslos. Kommt, helft mir, sie aufzunehmen. Wir müssen sie schnellstens auf die Decke legen und zum Schloss tragen!«
    Zu viert schafften sie dies ohne nennenswerte Probleme. Wenn sie nicht immer im Schnee versunken wären, hätte der Krankentransport schneller vonstatten gehen können und der Kastellan hätte seine Helfer nicht ständig wie Maulesel antreiben müssen. Obwohl dies nicht angenehm war, beklagte sich niemand darüber. So brachten sie die Kastellanin auf schnellstmöglichem Weg ins Schloss und in die elterliche Schlafkammer, wo sie auf ihre Lagerstatt gelegt wurde. Um seine Frau von ihrer klammen Gewandung befreien zu können, schickte der Kastellan Ignaz gleich wieder aus dem Raum und bat auch seine Söhne, kurz nach draußen zu gehen. Während er ihr Mieder öffnete, damit sich ihr Brustkorb beim Atmen ungehindert weiten konnte und sie besser Luft bekam, erwachte Konstanze aus ihrer Besinnungslosigkeit und wollte gleich drauflos reden.
    »Pssst! – Du musst dich jetzt ausruhen mein Schatz«, bremste ihr Mann sie sanft und streifte ihr das Nachtgewand über, bevor er sie zudeckte. Da in dieser Kammer kein Kachelofen war, heizten sie den Herd in der daneben liegenden Küche

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