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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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der Kronenwirt Matheiß das erste Mal seit langer Zeit über einen außerordentlich guten Zulauf freuen konnte. Seine Gasträume waren fast genauso gut besucht, wie es vor dem Marktverbot im vergangenen Herbst jeden Mittwoch der Fall gewesen war. Selbst das Hinterstübchen war voll besetzt.
    Obwohl die Handelssaison erst Ende Februar beginnen würde, waren bereits die ersten Fuhrwerker unterwegs, um ihre Waren über die Salzstraße zum Bodensee hinunter, weiter nach Vorarlberg, in die Schweiz und sogar bis ins Elsass, oder ins Oberschwäbische hinüber zu bringen. Einer, der über die Via Claudia Augusta von der blühenden Handelsstadt Landsberg bis hierher gekommen war und seine Ware noch bis zum Montfortschloss nach Tettnang karren musste, saß heute ebenfalls in der ›Krone‹. Im Gegensatz zu den anderen durchwegs männlichen Gästen zeigte er sich recht schweigsam und nuckelte gedankenverloren an einem Glas Ziegenmilch herum, anstatt sich sinnlos volllaufen zu lassen. Ob es daran lag, dass ihn Vronis üppiger Vorbau faszinierte und er noch etwas vorhatte?
    »Wollt Ihr nicht doch lieber ein Bier oder etwas Wein?«, fragte die geschäftstüchtige Schankmagd, die nicht wissen konnte, dass der wortkarge Fuhrmann stets nur Ziegenmilch trank, weil er wertvolle Zinnkaraffen, -becher und -teller geladen hatte und im Auftrag eines reichen Landsberger Kantengießers unterwegs war. Denn von seinem Auftraggeber war ihm auferlegt worden, dies zu verschweigen, falls er nach seiner gut verpackten Ladung gefragt werden sollte. Und da bekanntermaßen Alkohol die Zungen löste, trank er eben Milch und erzählte denjenigen, die wissen wollten, was er geladen hatte, er würde Getreide kutschieren. Und falls doch einer allzu neugierig auf die Ladung sein sollte, konnte er sich gerne zu seinem Wagen schleichen, um nachzusehen. Wenn er die Plane anheben würde, konnte er nur das Getreide sehen, unter dem das Zinn versteckt war.
    »Und warum zahlt Ihr dann das teure ›Stellgeld‹, wenn Ihr nichts Wertvolles geladen habt?«, wurde tatsächlich von einem der Zecher hinterfragt.
    »Ist Getreide nichts Wertvolles?«, bekam er zurück und wurde vom Zinnkutscher fragend angeschaut.
    »Schon, aber trotzdem …«
    Da der Kutscher nicht auf den Kopf gefallen war und wusste, dass die Sache – je länger man darüber redete – immer interessanter werden würde, ließ er keine lange Diskussion aufkommen und antwortete: »Ich habe meinen Wagen beim Wirt untergestellt, damit das Getreide nicht nass wird, falls es heute Nacht schneien sollte. Außerdem habe ich eine Decke darauf gelegt, um meine Ware gegen die lästigen Nager und vor dem Herunterfallen zu schützen. Mein Auftraggeber macht mich einen Kopf kürzer, wenn die Fracht unbrauchbar oder in geringerer Menge ankommt, als er sie geladen hat.« Der bärtige Geselle schnäuzte sich, bevor er noch anfügte: »Außerdem lässt es sich auf dem Getreide gut …« Er zwinkerte mit dem Auge und zeigte zu Vroni, der drallen Schankmagd.
    Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite und das Thema vom Tisch gebracht. Nur der Wirt wusste, was wirklich dahinter steckte und dass sein Stammgast für eine der beiden Landsberger Zinngießereien, die vorwiegend den Adel und das städtische Bürgertum belieferten, fuhr. Eine davon arbeitete sogar für die Hohenzollern und bediente die Fürstenhöfe Hechingen und Sigmaringen. Aber auf Matheiß’ Verschwiegenheit konnte sich der ›Getreidetransporteur‹ verlassen.
    Da der Fuhrmann in Landsberg und in Augsburg über das Material, das er kutschierte, eingehend informiert worden war, wusste er, dass reines Zinn ein edles Material war, das durch seine Sprödigkeit – im Gegensatz zu Silber – nicht getrieben, sondern nur gegossen werden konnte. Da dessen Wert außerordentlich hoch war, wurde altes Geschirr wieder zu neuen Legierungen eingeschmolzen, weswegen der Abstinenzler meistens auch beim Rückweg ›Getreide‹ geladen hatte, um etwas darunter zu verstecken. Allerdings war er so klug und machte dann das eine oder andere mal in Simmerberg, niemals aber in Staufen, Rast. Meistens fuhr er sogar – wenn es das Wetter zuließ, den Hahnschenkel unbeschadet hinter sich gelassen hatte und er sich gut fühlte – bis Immenstadt durch und nächtigte dort. Dieses Mal würde er erstmals im neu erbauten Wirtshaus ›Zum Goldenen Engel‹ absteigen, der praktischerweise direkt gegenüber des Gret- und Salzstadels errichtet worden war und bis zu seiner Rückkehr

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