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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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hoffentlich eröffnet haben würde. So konnte er auch dieses mal verhindern, insofern aufzufallen, immer nur Getreide hin und her zu kutschieren. So aber glaubten die Zecher in Staufen, dass er Getreide nach Tettnang fuhr, die Simmerberger und Immenstädter hingegen waren der Meinung, dass er das Getreide von dort holte, und niemand dachte sich etwas dabei.
    Er wusste auch, dass es beim Einschmelzen gebrauchter Zinngegenstände oft vorkam, dass zu viel giftiges Blei beigemischt wurde. Das Geschirr, das für Tettnang bestimmt war, musste von äußerster Reinheit sein, wenn der Landsberger Meister im Geschäft bleiben wollte. Um zu garantieren, dass seine Kannen, Becher und Teller unter zehn Prozent Blei enthielten, ließ er seine Produkte einer Beschau in der freien Reichsstadt Augsburg unterziehen, bevor sie an seine Kunden ausgeliefert wurden – erst dann war Zin unnd arbait brobiert unnd gut unnd gerecht gefunden, und er durfte auf die Böden sein spezielles Meisterzeichen punzieren.
    Da der brave Mann von der langen Fahrt hundemüde war und es schon dunkel wurde, hatte er es vorgezogen, den gefährlichen Hahnschenkel erst morgen bei Tageslicht anzugehen – es würde genügen, wenn er Tettnang gegen Mittag erreichte.

    *

    Auch der Stammtisch im vordersten Raum der ›Krone‹ war zum ersten Mal wieder bis auf den letzten Platz von Einheimischen besetzt. Die Männer hatten sich viel zu erzählen. Als sie schon einiges intus hatten und auf den Markt zu sprechen kamen, knüpften sie an das an, was sie schon seit längerer Zeit vorhatten: Sie wollten versuchen, den Grafen zu überreden, das Marktverbot wieder aufzuheben. Aber sie wussten, dass die Hoffnung gering war, wenn derjenige, der am Tod des Immenstädter Wachmannes schuld war, nicht gefunden würde. So diskutierten sie, bis sich der Schuhmacher zu Wort meldete und steif und fest behauptete, den Juden Jakob Bomberg mit einer Mistgabel gesehen zu haben.
    »Aber warum hast du das nicht schon gesagt, als wir uns direkt nach dem Vorfall auf dem Marktplatz hier in der ›Krone‹ unterhalten haben?«, wurde er von einem der Männer, der dem Alkohol zwar gerne zusprach, offensichtlich deswegen aber nicht an Gedächtnisschwund litt, gefragt. Einige von ihnen wussten schon, dass der Lederer die Juden hasste.
    »Hab’ ich doch!«, behauptete der Schuhmacher, der selbst nicht mehr wusste, über wen er seinerzeit hergezogen war. Da er es immer wieder geschickt verstand, ihnen ein paar Brocken hinzuwerfen, ohne dass diese merkten, dass sie aufgehetzt wurden, spitzte sich das Thema ganz langsam so weit zu, bis einer der Saufköpfe steif und fest behauptete, es müsste der junge Mann, den man Fabio nannte, gewesen sein, der den Wachsoldaten getötet hatte.
    »Das stimmt! Ich habe den Dieb auch mit einer Mistgabel gesehen«, unterstützte ihn ein anderer aus der Runde.
    Und da auch noch der Säckler bestätigte, in Fabios Hand eine Mistgabel »… oder etwas Ähnliches« gesehen zu haben, musste der Schuhmacher zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass er auf verlorenem Posten stand und es ihm heute wohl nicht gelingen würde, die Juden anzuschwärzen. So blies er jetzt unauffällig sanft in das Horn, dessen vernichtende Töne anstatt Jakob dem Juden jetzt Fabio dem Dieb galten.

    *

    Es war schon spät, als der Medicus ins Wirtshaus trat. Da die Stammtischbrüder wussten, dass er sich seit geraumer Zeit generös zeigte, winkten sie ihn freundlich zu sich an den Tisch.
    »Setzt Euch zu uns, Medicus«, sagte einer und rutschte etwas auf.
    »Ja, kommt her«, ermunterte ihn ein anderer und klopfte mit der flachen Hand auf das warme Holz, auf dem vorhin noch einer gesessen hatte.
    »Warum nicht? Wenn ihr meint«, sagte er und ließ ein ungewohntes Schulterklopfen über sich ergehen, während er Platz nahm.
    Wenngleich in der letzten Zeit einige Zweifel an der Korrektheit seiner Arbeit aufgekommen waren, hatten die Staufner außer ein paar unbelegbaren Vermutungen und dem Geschnatter der neunmalklugen Weiber nichts Handfestes gegen ihn vorzubringen. So war er nach wie vor der Held, der während der Pest vielen Menschen das Leben gerettet, zumindest aber den Hinterbliebenen geholfen hatte. Und als solcher wurde er seither auch behandelt.
    Hauptsache, er bestellt eine Runde, hofften die Männer, während sie ihm unablässig auf die Schultern klopften und ihn ›über den Schellenkönig‹ lobten.
    So dauerte es nicht lange, und die Rechnung der Stammtischbrüder ging auf. Der

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