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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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und dass es wichtig war, die Opsers an ihrer Genesung aktiv mitarbeiten zu lassen. Und dies taten sie am besten, indem sie neuen Lebensmut schöpften.
    »Gott sei Dank! Es kommt wieder etwas Leben in ihre Gliedmaße«, stellte er nach ein paar Minuten erfreut fest. »Weiter so. Danach müssen wir Hände und Füße vorsichtig mit rauen Lappen trockenrubbeln und eine Zeit lang sanft massieren … und gleichzeitig damit beginnen, die kalten Glieder leicht zu bewegen! Wenn ich meine Bewegungen an den Fingern des Blaufärbers verstärke, tut ihr dasselbe mit den Zehen. – Ihr müsst nur auf mich achten, dann könnt ihr nichts falsch machen. Und Ihr, Frau Dobler, flößt ihnen zwischendurch immer wieder etwas lauwarmes Wasser ein, bevor sie später heißen Kräutersud zu trinken bekommen … aber vorsichtig.«
    Die Opsers blickten ihre Retter wortlos an. Obwohl sie dabei den Eindruck erweckten, ins Leere zu schauen, konnte man den Dank in ihren Augen lesen. Sechzehn helfende Hände kümmerten sich liebevoll um sie und massierten ihre geschundenen Körperteile zuerst ganz sanft und dann zunehmend fester. Eginhard, der Kastellan, Otto, der Bechtelerbauer mit Frau und drei ihrer sieben Kinder kümmerten sich jeweils um einen Fuß oder um eine Hand, die es zu retten galt, während die alte Doblerin den beiden tropfenweise lauwarmes Wasser einflößte.
    Nachdem Eginhard ein paar weitere Anweisungen gegeben hatte, sagte er: »Ich bin gleich wieder zurück«. Obwohl er das allseits ungläubige Staunen bemerkte, streifte er sich seinen Umhang über und verließ ohne weitere Erklärung und eilenden Fußes den Bauernhof. Er wollte schnellstens zum Schloss zurück, um Pfefferminze, Kamille und verschiedene andere Heilkräuter, die er vom Bodensee mitgebracht hatte, zu holen. Er würde daraus einen heilenden Sud für die fast Erfrorenen ansetzen. Wahrscheinlich hätte er sich auch am vermutlich reichhaltigen Kräutervorrat der alten Doblerin bedienen können, musste aber – da für die Blaufärber das Wichtigste getan war – unbedingt nach seiner sterbenskranken Mutter sehen. Außerdem war ihm wichtig, sicher zu sein, dass es gute Kräuter waren, die er zu verarbeiten gedachte.

    *

    Nachdem er schnaufend im Schloss angekommen war und in voller Montur die elterliche Schlafkammer betrat, sah er gleich, dass sich der Gesundheitszustand seiner Mutter weiter verschlechtert hatte. Dennoch bemerkte er, dass Lodewig alles in seiner Macht stehende getan hatte, um ihr in der Stunde der Not beizustehen. Er klopfte seinem völlig erschöpften Bruder für dessen umsichtige Pflege auf die Schulter und berichtete ihm kurz, was den Opers widerfahren war, bevor er ihm weitere Anweisungen gab.
    »Ich muss gleich wieder zum Bechtelerhof zurück, um einen heilenden Sud anzusetzen. Wenn du genau das tust, was ich dir gesagt habe, kannst du dich getrost allein um Mutter kümmern. Du machst das hervorragend«, lobte Eginhard und umarmte seinen Bruder, dem jetzt die Tränen kamen.
    »Das ist in Ordnung«, sagte Eginhard, »und ehrt dich nur.«
    »Aber sie hat seit Tagen nichts gegessen … auch heute nicht«, bemerkte Lodewig.
    Der angehende Mediziner beruhigte ihn: »Ich weiß von meinen Studien in der Natur, dass kranke Tiere instinktiv wissen, wann sie wieder fressen können. Und was für die Tiere gilt, das gilt auch für uns Menschen. Es hilft ihr schon, wenn sie etwas trinkt.«
    Eginhard hielt nichts von Purgieren, Schröpfen und schwächendem Aderlass, das von den meisten Ärzten immer noch gerne vorgenommen wurde, sondern vertraute lieber auf die natürlichen Selbstheilungskräfte.
    »Jetzt kann ihr nur noch Mutter Natur helfen«, sagte er zu Lodewig und wies ihn nochmals an, der Sterbenskranken möglichst viel Flüssigkeit einzuflößen und sie dann schlafen zu lassen.
    Während Eginhard die Kräuter für den nächsten Sud zusammenstellte, beschloss er, seinem Vater nichts vom wahren Zustand der Mutter zu erzählen. Er wollte ihn nicht noch mehr beunruhigen. Sollte der schlimmste Fall eintreten, würden sie alle die Zeit haben, um sich von ihr verabschieden und ihr für alles danken zu können. Daran mochte Eginhard jetzt aber noch nicht ernsthaft denken.

    Eginhard war nur ungern schon wieder gegangen, aber es hatte sein müssen. Für seine geliebte Mutter konnte er im Moment auch nicht mehr tun als Lodewig, der sie hingebungsvoll betreute und ihr einen Teil dessen, was sie ihm ein ganzes Leben lang geschenkt hatte, zurückgab. Die Blaufärber

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