Die Pestspur
hingegen waren – außer dass sich ein paar medizinische Laien um sie kümmerten – auf sich allein gestellt. Sie benötigten dringend den lebensspendenden Kräutersud, eine heilende Wundsalbe und die kompetente Überwachung des in diesem Fall ganz besonders heiklen Genesungsbeginns. Also hastete er wieder den Schlossbuckel hinunter. Als der umtriebige Studiosus am Dorfeingang ankam, wählte er den unteren Weg in Richtung Bechtelerhof, wo er am Propsteigebäude vorbeikommen würde. Dort wollte er seinen alten Mentor Johannes Glatt abholen und zu den Bechtelers mitnehmen.
»Wollten wir uns nicht hier bei mir treffen?«, fragte der verdutzt wirkende Seelsorger.
»Mein ehrenwerter Freund, unser Treffpunkt muss aufgrund verschiedener Umstände kurzfristig verlegt werden. Ich erkläre Euch alles auf dem Weg dorthin!«, antwortete Eginhard ruhig, obwohl er innerlich aufgewühlt war.
»Wohin?«
»Geduldet Euch! Zuvor muss ich Euch davon in Kenntnis setzen, dass es meiner Mutter sehr schlecht geht, weswegen ich Euch bitte, die Utensilien zur Krankensalbung bereitzuhalten, um sie zu stärken, falls sie vor ihren Schöpfer treten muss.«
»Um Gottes willen – Konstanze«, entfuhr es dem Freund des Hauses, der sich sogleich bekreuzigte.
»Noch ist es nicht so weit. Wenn meine Mutter die heutige Nacht überleben sollte, habe ich die Hoffnung, dass sie es vielleicht schaffen könnte. Momentan liegt alles in den Kräften der Natur.«
»In den Kräften der Natur?«, wunderte sich der Propst.
»Ja!«
»Und in Gottes Hand«, ergänzte der Seelsorger mit wissender Miene und erhobenem Zeigefinger.
»Ja, ja, schon gut. Aber nun beeilt Euch und seid bitte verschwiegen. – Ich habe mit Vater nicht über Mutters ernsten Zustand gesprochen. Er weiß zwar, dass es ihr nicht gut geht, soll sich aber nicht noch mehr grämen, als er dies ohnehin schon tut«
Da dem Priester klar war, dass sein Freund Ulrich über Konstanzes Zustand mehr wusste, als ihm guttat, nickte er verständnisvoll.
*
Die gottesfürchtige Bäuerin bekreuzigte sich beim Anblick des hochrangigen Kirchenmannes.
»Ist es jetzt doch so weit?«, fragte sie Eginhard. »Bekommen die Blaufärber nun das Heilige Sakrament der Krankensalbung?«
»Nein! – Seid beruhigt, Frau Bechteler. Ich bin nicht hier, um Herrn und Frau Opser die Zeichen der Gegenwart und des Wirkens Gottes auf die Stirn zu zeichnen. Dies muss ich hoffentlich lange nicht mehr tun. Ich habe noch allzu gut die jüngst vergangene Zeit scheinbarer Pestilenz im Gedächtnis, und nur Gott weiß, wer als nächstes dran ist«, sagte er mit einem unauffälligen Blick zu Eginhard, der sich sogleich in die Küche begab, um den heilenden Kräutersud anzusetzen. Er wies die alte Doblerin an, den Trank gut ziehen zu lassen und ihn dann Schluck für Schluck den beiden einzuflößen. Er setzte extra viel an, weil er wusste, dass er bei dieser Saukälte auch allen anderen gut tun würde.
Nachdem die Opsers den bitter schmeckenden Sud endlich getrunken hatten und in einen heilenden Schlaf gefallen waren, winkte Eginhard zwei der Bechtelerkinder zu sich und fragte sie nach ihren Namen.
»Ich bin Agathe«, sagte das Größere der beiden Mädchen höflich und deutete auf ihre Schwester. »Das ist Lena.«
»Gut, ihr beiden. Ihr habt jetzt eine wichtige Aufgabe: Ihr bleibt bei Herrn und Frau Opser und sagte mir sofort Bescheid, wenn sie sich rühren oder wenn sie aufwachen.«
Während die wohlerzogenen Bechtelermädchen zu den Kranken eilten, rief Eginhard die anderen zu sich. Er nahm den Propst, Otto und die Bauersleute auf die Seite und erklärte ihnen den eigentlichen Grund seines und seines Vaters Besuches.
»Über das, was ihr gleich hören werdet, müsst ihr absolutes Stillschweigen bewahren! – Kann ich mich darauf verlassen?«
Alle nickten und warteten gespannt darauf, was Eginhard zu berichten hatte. »Eure Mutter ist doch eine Kräuterkundige«, wandte er sich zunächst an den Knecht, den er zwar kannte, aber nicht so vertraut mit ihm umgehen konnte, wie es sein Vater tat.
Da es üblich war, dass sich Frauen zurückzogen, wenn sich ihre Männer etwas zu sagen hatten, musste Otto seine Mutter erst herbeirufen, damit sie Eginhards Fragen beantworten konnte: »Wenn Ihr mich der Hexerei beschuldigen wollt, bin ich keine Kräuterkundige. Wenn Ihr aber meine Hilfe benötigt, könnt Ihr mit mir rechnen«, meinte sie in sonorem Ton.
»Du kannst ihm vertrauen«, sagte Otto zu ihr und drehte sich seinem
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