Die Pestspur
gut, wenn die Dörfler jetzt schon mitbekämen, dass unser Gefangener den Tod ihrer Liebsten zu verantworten hat. Sie würden zweifellos versuchen, des Halunken habhaft zu werden, um ihn noch vor der Gerichtsverhandlung zu steinigen und am nächsten Baum aufzuknüpfen«, bemerkte der Kastellan.
»Wenn Ihr still seid und keine Anstalten zur Flucht macht, werden wir Euch weder binden noch schinden! Habt Ihr das verstanden?«, bot Eginhard dem Gefangenen an, bekam aber keine Antwort.
Vater und Sohn packten den übel riechenden Gesellen an den Armen und schleiften ihn wortlos aus dem Dorf. Den Schlossbuckel hoch hatten sie große Mühe mit dem Betrunkenen.
»Entweder Ihr reißt Euch jetzt endlich zusammen und setzt selbstständig einen Fuß vor den anderen, oder wir lassen Euch auf offener Straße liegen und rufen nach den Dörflern. Was die mit Euch anstellen, wenn sie erfahren, was Ihr ihnen angetan habt, könnt Ihr Euch ja vorstellen!«
Diese Warnung wirkte, und der Gefangene bemühte sich jetzt – seinem Zustand entsprechend – ordentlich zu laufen. Dabei flehte er allerdings immer wieder darum, freigelassen zu werden. Während ihm der Schleim aus Nase und Mund troff, jammerte er, dass er seine Taten zutiefst bereue und es nie wieder zu solchen Geschehnissen käme, wenn man ihn nur frei lassen würde. In seinem Suff merkte er nicht, dass er dadurch ein Geständnis ablegte, das er sogar noch mehrmals wiederholte.
»Also gut«, sagte der Kastellan. »Gebt uns Euer ganzes Geld, und wir lassen Euch frei.«
Eginhard glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, merkte aber schnell, dass sein Vater nur zu einer List gegriffen hatte, um zu erfahren, ob der Medicus tatsächlich so viel Geld hatte.
»Und? … Was ist jetzt?«
»Aber Ihr habt doch schon alles. Ihr habt meine dreißig Gulden. Das ist alles, was ich besitze.«
»Nur etwas mehr als einundzwanzig«, korrigierte Eginhard.
»Das kann sein. Den Rest habe ich versoffen«, lallte der Medicus, und grinste trotz seiner misslichen Lage.
»Was! In so kurzer Zeit habt Ihr so viel Geld ins Wirtshaus getragen?«, ärgerte sich der Kastellan.
Da sie heute sowieso nicht mehr erfahren würden, wo das gesuchte Geld war und ob es überhaupt noch welches gab, beließen sie es dabei.
Als Rudolph das Schlosstor öffnete, wunderte er sich, seinen Herrn und Eginhard mit dem versoffenen Arzt zwischen ihnen zu sehen – und dies auch noch zu so später Stunde.
»Ein komisches Trio – da stimmt was nicht«, murmelte er irritiert.
Der Kastellan, der das gehört hatte, beschwor ihn, keiner Seele davon zu erzählen, dass der Medicus hier im Schloss war.
»Ich erkläre dir alles morgen. Bis dahin schweigst du, auch Siegbert gegenüber.«
»Wohin bringen wir ihn?«, fragte Eginhard seinen Vater.
»Wohin wohl? Wir sperren ihn in den Südturm! Da sind die Mauern am dicksten, und er kann schreien, so laut er will. Drunten im Weißachtal wird ihn niemand hören. Und uns kann er auch nicht stören. Im Raum ist ein kleines Fenster, durch das zwar genügend Licht hereinfällt, er aber nicht hinaus kann. In der dicken Eichentür ist sogar ein kleines vergittertes Schiebefensterchen, durch das wir Brot und Wasser reichen können, ohne die Tür öffnen zu müssen. Der Raum eignet sich ideal als Gefängniszelle. Außerdem ist er dort weit weg von uns allen. Ich könnte die Nähe dieses Erzhalunken nicht ertragen.«
Als sie den Gefangenen in den Südturm gesperrt hatten, brachten sie ihm noch eine Hucke voll Stroh, eine ausgediente Pferdedecke und einen Topf.
Der Kastellan verabschiedete sich mit den Worten: »Ich warne Euch! Wenn Ihr es mit Eurer Notdurft so handhabt wie in Eurer Kammer und Eure Hinterlassenschaften nicht täglich aus dem Fenster kippt, stecke ich Eure Nase hinein … und wehe, wenn Ihr auch nur einen Laut von Euch gebt.«
Kapitel 44
Eigentlich wollten der Kastellan und Eginhard schon am Tag nach der Gefangennahme des verhassten Arztes ins Propsteigebäude zurückgekehrt sein, um die gefundenen Beweise gegen ihn zu sichern und ein letztes Mal nach dem Geld zu suchen. Aber das musste warten. Es gab jetzt wichtigere Dinge, die sie im Schloss festhielten: Die Mutter erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Nur Lodewig hatte das Schloss verlassen und sich auf den Weg zum Propst gemacht. Er sollte seinen Taufpaten bitten, schnellstens zu kommen, um in der Schlosskapelle eine Messe zu lesen und seiner Mutter vorsorglich die letzte Ölung zu geben.
»Bitte, ehrwürdiger Vater.
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