Die Pestspur
ihre Mutter wegen des Zeitaufwandes, der für den Gottesdienst benötigt wird, die Krankensalbung nicht mehr erleben würde.
»Mutter hat ein gottgefälliges Leben geführt und wird auch ohne die letzte Ölung ihren Platz im Himmel bekommen«, waren sie sich sicher.
Von diesen Überlegungen durfte der Propst in Herrgotts Namen ja nichts erfahren. Auch das Gesinde wusste nichts davon. Rudolph grämte sich, beim anstehenden Gottesdienst nicht dabei sein zu dürfen, weil er Wachdienst hatte, während sich Rosalinde freiwillig gemeldet hatte, am Krankenlager ihrer Herrin zu wachen.
Die Schlosskapelle, die Hiebelers Gotthard – der allseits bekannte und beliebte Hofmaler des Immenstädter Oberamtes, der wegen seines Aussehens und seiner lustigen Art gut und gerne auch als Hofnarr durchgehen könnte, dennoch ein begnadeter Kunstmaler war – erst vor ein paar Jahren neu getüncht und der während seiner Zeit im Schloss Staufen den Weinvorrat des Kastellans gewaltig dezimiert hatte, war in ein gefälliges Kerzenlicht gehüllt. Um den modrigen Geruch wenigstens etwas aus dem unbeheizten und feuchten Raum zu bringen, hatte Eginhard schon vor einer Stunde kleine Schüsseln mit gesegnetem Räucherwerk in alle Ecken des Raumes gestellt.
Jetzt war er dabei, gedankenverloren die letzten Kerzen zu entzünden. Als sich knarrend die Kapellentür öffnete und sich alle umdrehten, wurde Eginhard aus seiner momentanen Ruhe gerissen. Es war Propst Glatt, der in Begleitung eines anderen Priesters mit Riesenschritten dem Altarraum entgegenstrebte. Als er an den Gläubigen vorbeiging, verkündete er für diejenigen, die es noch nicht wussten: »Dies ist Bruder Martius, mein Kanonikus … ein Thaler.« Damit meinte er, dass sein Mitbruder im Herrn aus dem nahen Thalkirchdorf stammte. Im Gegensatz zu Immenstadt, das allgemein liebevoll als ›Städtle‹ bezeichnet wurde, war die Bezeichnung ›Thaler‹ vom Staufner Pfarrherrn eher abschätzig gemeint.
Da Johannes Glatt auf seinen jungen Kollegen von der Filialkirche St. Johann im Thal gewartet hatte, glaubte er, deswegen etwas spät dran zu sein. Dass Lodewig noch nicht hier war, fiel ihm nicht auf.
»Der Herr grüßt dich und die deinen«, sagte er trotz des traurigen Anlasses in etwas überheblich klingendem Ton, der wohl seine eigene Trauer kaschieren sollte. Da Eginhard bereits dabei war, den Altarraum zu verlassen, um zu seinem Vater und zu Diederich zu gehen, hörte er dies nur wie durch einen dichten Nebel, weswegen er nicht darauf reagierte. Davon leicht brüskiert, deutete der Propst auf seinen geistlichen Mitbruder und sagte zu Eginhard, den er am Ärmel festhielt: »Ich habe ihn extra wegen euch mitgebracht. In Konzelebration mit ihm möchte ich der Messe für deine Mutter ein besonderes Gepränge verleihen.«
Der älteste Sohn des Kastellans nickte still und ging zur ersten Bankreihe.
Die beiden Priester machten einen Kniefall und bekreuzigten sich, bevor sie die Stolen als würdiges Zeichen ihrer Priesterämter küssten und umlegten. Der traurige Anlass war es ihnen wert, die komplette liturgische Gewandung zu tragen.
Als auch die Liturgieinsignien bereitgelegt waren, wartete der Propst mit gefalteten Händen darauf, dass Bruder Martius die kleine Glocke läutete.
Eigentlich könnten sie mit der Messe beginnen … wenn Lodewig hier wäre. Da dies aber nicht der Fall war, wurde es in der Kapelle zunehmend unruhig.
»Wo bleibt er nur?«, tuschelte Siegbert Ignaz ins Ohr.
Auch der ohnehin schon angespannte Kastellan war merklich unruhig geworden. Dies bewog ihn, aus seiner Bank zu treten und nach vorne zum Propst zu gehen. »Du musst doch wissen, wohin Lodewig gegangen ist«, beschwor er den priesterlichen Freund.
Aber so oft er ihn auch fragte, bekam er immer die gleiche Antwort: »Lodewig war zwar bei mir, aber ich weiß nicht, wohin er danach wollte.«
Der verzweifelte Familienvater, der jetzt nicht wusste, was er tun sollte, beschwor die beiden Priester: »Dann nützt die Wartezeit und geht zu meiner Frau. Betet dort ein Vaterunser für sie und kommt danach wieder. Bis dahin wird Lodewig hier sein.«
Der erstaunte Propst wollte sich jetzt auf keine Diskussion einlassen und tat, worum er gebeten worden war, machte zuvor aber noch einen Vorschlag: »Gut! Ich gehe, aber Bruder Martius wird inzwischen mit euch beten«, sagte er und verließ die Kapelle.
*
Nachdem der allen Mitgliedern der Familie Dreyling von Wagrain in Freundschaft verbundene Priester gesehen
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