Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
die Richtung, während er selbst losrannte, um die Verfolgung aufzunehmen.
    Da der Medicus aber schon zu viel Schnaps intus hatte, um überhaupt geradeaus laufen zu können, ließ er das Unterfangen gleich sein. Dies war ein Riesenglück für die beiden Flüchtenden. Sie schlugen mehrere Haken um Bäume, Grabsteine und Kreuze, übersahen in der Dunkelheit aber die frische Grube, die der Totengräber für den ›Versuch‹ ausgehoben hatte, und stürzten hinein.
    War dies das Ende der beiden jungen Mitwisser? Es schien so! Insbesondere, da der Sturz Geräusche verursacht und beim Hineinfallen sogar Lodewig laut aufgeschrien hatte. Aber der Totengräber konnte den Weg der pfeilschnellen Knaben aufgrund der vielen Haken, die sie geschlagen hatten, nicht mehr nachvollziehen und ließ sich – auch durch das Rauschen der Blätter verunsichert – in eine andere Richtung lenken. Zu allem Übel irritierte ihn auch noch eine Eule mit ihrem monotonen Geschrei.
    Lodewig rappelte sich schnell wieder auf und hielt Diederich sofort den Mund zu. Er beschwor ihn, keinen Laut mehr von sich zu geben. Der Jüngere nickte hastig und riss sich tatsächlich bewundernswert zusammen. Da es mittlerweile stockdunkel geworden war, musste der Totengräber seine Suche nach ein paar Minuten aufgeben.
    »Himmelherrgottsakramentkreuzkruzifix noch mal. – Gottverdammte Scheiße!«, fluchte er in bester Manier derer, die der Kirche den Rücken gekehrt hatten, vor sich hin, während er eiligen Schrittes den Medicus suchte.
    In der Hoffnung, die beiden doch noch zu finden, sah sich der Totengräber in den nächsten Minuten mit zusammengekniffenen Augen um und machte sogar noch eine Runde. Dabei kam er der Grube gefährlich nahe, drehte aber aufgrund eines Geräusches kurz davor ab. Jetzt war es ein Dachs, der seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen und ihn dadurch abgelenkt hatte. Dass die Buben in der eben erst frisch ausgehobenen Grube kauerten, ahnte er nicht.
    Erst nach einer ganzen Weile trauten sich die verängstigten Söhne des Kastellans, aus dem dreckigen Loch herauszuklettern. Lodewig machte zuerst für den Kleinen eine Spitzbubenleiter. Zuvor aber hatte er ihm beschwörend ins Ohr getuschelt: »Sei um Himmels willen so leise, dass dich keiner hört. Und beweg dich so lange nicht von der Stelle, bis ich bei dir bin!«
    Danach kletterte er selbst behände aus dem Grab … und trat prompt auf die Schaufel, mit der diese Grube ausgehoben worden war, was natürlich wieder Geräusche verursachte. So ging die Jagd von vorne los. Die beiden rannten abermals davon und der Totengräber hinterher, während sich der Medicus wieder nicht aus seiner schnapsseligen Ruhe bringen ließ. Sie schafften es gerade noch bis zur Kirchhofmauer. Der Große zog den Kleinen vor sich und schob ihn zuerst durch die Maueröffnung.
    »Nun mach schon, Diederich! Beeil dich!«
    Als er selbst hindurchschlüpfen wollte und dies auch schon fast geschafft hatte, spürte er, dass sein rechter Fuß festgehalten wurde. Der Drang zu fliehen ließ ihn aber derart zappeln, dass der Totengräber am Ende nur Lodewigs Schuh in der Hand hielt. Für ihn war das Loch zu klein, und er musste – alle Schreckensgestalten der Hölle heraufbeschwörend – endgültig aufgeben.
    Die Buben rannten so lange in Richtung Schloss, bis Diederich die Puste ausging. Sie waren dort angekommen, wo die schmalen ebenen Lehmwege des Dorfes zu Ende waren und die breite mit Kies belegte Zufahrt zum Schloss begann, dort bogen sie nach links ab und versteckten sich hinter dem ehemaligen Marstall, einem der größten Gebäude des Ortes.

    *

    »Geht’s wieder?«, fragte Lodewig den Bruder nach einer Verschnaufpause. Aber Diederich vermochte nichts zu sagen, sondern nur zu nicken, während er leise vor sich hin schluchzte.
    »Wir sind von oben bis unten schmutzig, überall zerkratzt, und ich habe nur noch einen Schuh. So ein Mist! – Außerdem sind wir viel zu spät dran, und Vater ist bestimmt schon zu Hause. Wie erklären wir das alles nur unserer Mutter?«, sorgte sich Lodewig.
    »Mama«, schluchzte hingegen der Kleine. »Ich möchte zu meiner Mama.«
    »Schon gut. Wir sind gleich im Schloss.« Lodewig verließ aller Mut, und er hatte jetzt plötzlich eine Heidenangst vor dem, was ihn dort erwarten würde.
    Da hörten die beiden den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes, was sie vorsichtig hinter der Hausecke hervorlugen ließ.
    »Wer kann das sein? Etwa der grässliche Totengräber? Vater hat gesagt, dass

Weitere Kostenlose Bücher