Die Pestspur
unterbrach und schaute den anderen vielsagend in die Gesichter, »eine Arroganz an den Tag gelegt habt, die nicht erahnen ließ, dass Ihr es nicht aus eigenem Antrieb geschafft habt, Arzt zu werden. Euer Vater hat immer wieder in seinen Geldbeutel greifen müssen, um Euer Unvermögen auszugleichen … Stimmt das?«
Der Medicus senkte seinen Kopf noch mehr, als er dies ohnehin schon getan hatte.
Vor dem Ausschuss saß jetzt kein arroganter und überheblich wirkender Mediziner, sondern ein geknickter Mann, der vor Dreck strotzte und dessen dunkles fettiges Haar im Gegensatz zu früher nicht glatt nach hinten gekämmt war, sondern wirr in seinem Gesicht klebte. Außerdem stank er zum Himmel.
»Hätte man ihn nicht in einen Wasserbottich stecken können?«, fragte der neben dem Kastellan sitzende Beisitzer Eberhard Meisinger, der sich wie die meisten anderen ein Spitzentuch vor Mund und Nase hielt.
»Natürlich: Wenn Ihr diese Arbeit übernommen hättet«, antwortete der Kastellan mit einem süffisanten Augenzwinkern und stand auf, um ein Fenster zu öffnen.
Bald darauf lag die ganze versaute Lebensplanung des Angeklagten offen. Einen erfolgreichen Berufsstart in Staufen hatte er jedenfalls innerhalb kürzester Zeit vermasselt. Kaum war er ein paar Monate im Amt gewesen, konnte er – wie er selbst immer wieder betont hatte – ›keine Kranken und Verletzten mehr sehen‹. Immerhin hatte er nach seines Vaters Tod dessen Posten übernommen und war als einziger Arzt des Ortes gut bezahler Spitalmeister der kleinen Einrichtung nördlich des Schlossberges geworden. Dieses Amt konnte einem kaum wieder genommen werden und normalerweise bekleidete man es ein Berufsleben lang. Aber er hatte das Spital so heruntergewirtschaftet, dass es schließen musste.
*
Nachdem es beim ersten Teil der Befragung um persönliche Angaben zum Gefangenen und zu dessen Umfeld gegangen war und der Richter hinreichend abgelästert hatte, konzentrierte sich sein Fragenkatalog ganz auf dessen Taten.
»Was ist mit diesem Geld?«, wollte der Richter unvermittelt wissen, während er zu den Beweismitteln auf der Anrichte zeigte.
»Kennt Ihr diesen Beutel samt Inhalt?«, schrie der Vorsitzende den zitternden Arzt an, um ihn einzuschüchtern.
Obwohl es damit gut klappte, wollte die Sache zunächst nicht so richtig in Gang kommen. Auch als der Vorsitzende dem Medicus mit der ›Peinlichen Befragung‹ drohte und ihm aufzählte, was er diesbezüglich alles erleiden müsse, wenn er nicht sofort die ganze Wahrheit sage, gab der Medicus ums Verrecken nichts zu. Irgendwann wurde es den Beteiligten zu dumm, und es kam der Vorschlag aus der Versammlung, die Peinliche Befragung gleich zu Hilfe zu nehmen. Dies würde heißen, dass man den Angeklagten peinigen, also foltern würde.
»Unter der Folter haben noch alle geredet«, meinte einer der Beisitzer.
Bis auf Eginhard und den Kastellan, die beide jegliche Foltermethoden ablehnten, stimmten alle für diese Art der Befragung. Aber der Vorsitzende musste feststellen, dass es gar nicht so einfach war, sich diesbezüglich etwas einfallen zu lassen, wenn kein Henkersknecht, geschweige denn der Carnifex selbst greifbar war und es auch an einer Folterkammer mit passenden Gerätschaften mangelte. Außerdem handelte es sich lediglich um eine Anhörung, bei der von Gesetzes wegen keine derartigen Hilfsmittel zugelassen waren.
»Geht mit dem Gefangenen so lange vor die Tür, bis ich euch wieder rufen lasse«, befahl Zwick den beiden Wachen.
Als der Medicus draußen war, fragte der Kastellan: »Was habt Ihr vor, ehrenwerter Herr Vorsitzender?«
Der Richter nahm einen kräftigen Schluck und grinste. »Ich schlage vor, dass wir uns in Anwesenheit des Gefangenen für ihn laut vernehmbar über einige der grausamsten Foltermethoden unterhalten, um ihn zu zermürben. Dass wir hier im Schloss kaum die Möglichkeit haben werden, ihn zu foltern und dass wir dies ad hoc gar nicht dürfen, weiß er ja nicht. Wir sind zwar nicht mehr im finsteren Mittelalter, dennoch ist die Folter auch noch heutzutage ein adäquates Mittel, um Geständnisse herauszupre …« Zwick räusperte sich, »locken, herauszulocken«, korrigierte er sich noch schnell.
Obwohl die Folter nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden konnte, schlug einer auch vor der Tür gut vernehmbar vor, den Dorfschmied zu holen und den Gefangenen mit heißen Eisen die Daumen quetschen oder ihn blenden zu lassen. Dies hätte zudem den Vorteil, dass sich in der
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