Die Pestspur
»Ärzte retten Leben und nehmen es nicht. Und nun sprecht weiter.«
In der Hoffnung, etwas zu trinken zu bekommen, fasste sich der Medicus an seine trockene Kehle und räusperte sich wieder. »Wie Ihr sicherlich wisst, war mein Vater ebenfalls ein Medicus. Er hat alles daran gesetzt, dass auch ich den Eid des Hippokrates ablege.«
»Und habt Ihr das ordentlich getan, oder kann es sein, dass Ihr Euch beim Studium schwer getan habt und Euer Vater mit Penunzen nachgeholfen hat?« Als er dies sagte, rieb sich der Richter die Daumen und Zeigefinger beider Hände.
Der Medicus senkte den Kopf, presste seine aufgerissenen Lippen zusammen und nickte.
»Ja, da schaut Ihr, woher ich das weiß«, sagte der Richter beifallheischend zu den anderen und forderte Heinrich Schwartz auf, weiterzusprechen.
»Wie gesagt kommt meine Familie ursprünglich aus Schlesien, einem Land der habsburgischen Wenzelskrone«, begann der Medicus mit seiner Familiengeschichte. »Aber mein Vater Vinzenz und meine Mutter Irmelin mussten aufgrund von Kriegshandlungen von dort fliehen. Und wie man damals mit Flüchtlingen umgegangen ist, können sich Eure richterliche Hoheit sicherlich vorstellen«, schleimte der Medicus, dessen Zunge aufgrund des unerträglichen Durstes immer dicker wurde.
Der Schmeicheleien – egal woher sie auch kommen mochten – zugetane Landrichter nickte zustimmend.
»Jedenfalls hat es uns letztendlich ins Allgäu verschlagen«, fuhr der Medicus fort. »Mein Vater hat in seiner alten Heimat die Naturheilkunde erlernt, war allerdings in der Allgemeinmedizin nicht besonders und in der Chirurgie überhaupt nicht erfahren, als er in Staufen angekommen ist. Trotzdem hat ihn der damalige Ortsvorsteher Heimbhofer aus der Scheiße gezogen und zum Dorfmedicus bestallt.«
»Mäßigt Euch in Eurer Ausdrucksweise! … Und fahrt fort!«, gebot der Richter, während er mit den Fingern seiner linken Hand auf den Tisch trommelte.
»Zuvor, auf der Flucht, sind wir getrennt worden«, sagte der Medicus und senkte kurz den Kopf, bevor er weiter sprach: »Während es meine Mutter und mich auf die andere Seite der Iller verschlagen hat, kam mein Vater hierher ins Allgäu.«
»Jaja, schon gut. – Weiter!«, drängte der Richter.
»Nachdem der brave Ortsvorsteher meinen Vater in Lohn und Brot gebracht hatte, hat er die Suche nach uns aufgenommen. Er hat gehört, dass man schlesische Flüchtlinge unterhalb der Burg Laubenbergstein über die Iller getrieben haben soll. Also ist er dorthin und hat alle Orte jenseits der Iller abgesucht und uns tatsächlich gefunden.« Der Medicus hielt inne und sagte dann: »Das war’s!«
»Wirklich rührend«, lästerte der Richter. »Und jetzt sage ich Euch, was ich von einem ebenfalls aus Schlesien geflohenen Medicus über Euch und Eure saubere Familie gehört habe.«
»Ich bin gespannt, was jetzt kommt«, flüsterte der Kastellan seinem Sohn zu, während auch die anderen Beisitzer über den immer wieder für Überraschungen sorgenden Richter tuschelten.
»Und dass Ihr mir ja auch alles mitschreibt. Dann brauchen wir die persönlichen Angaben zur Person und zum Umfeld des Delinquenten bei der bald anstehenden Gerichtsverhandlung nicht zu wiederholen«, pfurrte Zwick in Richtung des Protokollführers, der hechelnd seinen Kopf übers Pult zu strecken suchte.
»Weil er dann kurzen Prozess machen möchte«, tuschelte einer der Beisitzer seinem Tischnachbarn zu.
»Ruhe!«, rief der Richter und ließ eine flache Hand auf den Tisch klatschen. »Und nun wieder zu Euch«, sagte er zum Medicus und begann damit, sein im Vorfeld recherchiertes Wissen auszubreiten: »Euer sauberer Herr Vater war ein miserabler Medicus, der berechnend damit spekuliert hat, welcher Allgäuer Magistrat ihm für seine Dienste am meisten bezahlen würde. Der damalige Ortsvorsteher, der ihm zuvor geholfen hat, hat ihn aus einer Ratsversammlung herausgezogen und daran erinnert, dass er ohne seine Hilfe verhungert wäre.« Der Richter schüttelte wieder den Kopf, bevor er fortfuhr: »Zudem war Euer Vater sturköpfig und eingebildet. Obwohl er – wie Ihr selber bereits angedeutet habt – kein guter Medicus war, hat er sich im Laufe der Zeit irgendwie einen guten Ruf erschlichen. Da er viele Leute gekannt hat, war es ihm sogar gelungen, seinen stinkfaulen Sprössling in die gewünschten Bahnen zu lenken. Dennoch seid Ihr ein Sorgenkind geblieben: Eigensinn und Faulheit habt Ihr dadurch kompensiert, indem Ihr zeitlebens …« Der Richter
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