Die Pestspur
auch gleich ausräuchern.
Noch drohte erfahrungsgemäß keine Gefahr vom gräflichen Jagdverwalter und seinen schießwütigen Gehilfen. Über die kalte Jahreszeit hinweg hatte der Kastellan die alleinige Aufsicht über die hiesigen Wälder.
Wegen ein paar umgeknickter Bäume ließ sich der Revierförster nicht vor die Tür seines geheizten Arbeitszimmers jagen. Also war jetzt die beste Zeit, um noch schnell unbemerkt an einen Hasenbraten zu gelangen. An manchen Tagen waren so viele Staufner beim ›Holzsammeln‹, dass Schilder vor den Kaninchenlöchern, die schon ausgeräuchert worden waren, notwendig gewesen wären. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass bei der Jagd zwar jeder auf sich selbst gestellt war, sie sich aber niemals gegenseitig denunzieren würden. Da die direkten Nachbarn den Braten aber sprichwörtlich riechen konnten, wenn dieser auf dem Rost lag, war es ebenfalls ein ungeschriebenes Gesetz, dass man ihnen, frei nach dem Motto: ›Mitgehangen – Mitgefangen‹ ein Stück davon abgab. Dadurch kamen zwischendurch auch alleinstehende Alte, die selbst keine Möglichkeit mehr zum Jagen hatten, an ein bisschen Fleisch. So half man sich letztendlich doch noch gegenseitig.
Auch wenn die Sonnenstrahlen ihre Herzen jetzt etwas erwärmten, konnten die Staufner die tragischen Ereignisse keineswegs vergessen. Zu viele Tote hatte es während der vermeintlichen Pestepidemie gegeben – zu viel Leid hatte ihnen der Medicus angetan. Aber jetzt würde er ja dafür büßen. Die Menschen konnten es kaum erwarten, dass der Mörder mit seinem letzten Atemzug selbst den Geruch des Todes würde einsaugen müssen. Sie alle rechneten fest mit einem Todesurteil.
»In seiner Kerkerzelle in Immenstadt kann er jetzt schon daran riechen«, freuten sich die Angehörigen der Opfer. Hätten sie auch nur im Entferntesten geahnt, dass der Medicus ganz in ihrer Nähe inhaftiert war, hätten sie wohl alles daran gesetzt, seiner habhaft zu werden, um ihn selbst richten zu können.
*
Wenn sich ein paar Staufner auf offener Straße begegneten, kamen sie meist sofort auf das schändliche Treiben ihres ehemaligen Dorfarztes zu sprechen. Jetzt war einer gescheiter als der andere.
»Wäre es die echte Pest gewesen, hätte sie viel stärker gewütet und noch mehr Menschenleben gefordert«, kam es zwar aus unberufenem Munde, aber wahrheitsgemäß.
Auch Hemmo Grob behauptete bei jeder sich bietenden Gelegenheit, gewusst zu haben, dass mit dem Medicus genauso etwas nicht stimmen würde wie mit den Juden.
»Wieso? Was haben denn die Bombergs damit zu tun?«, wurde er immer wieder misstrauisch gefragt.
»Das werdet ihr schon noch früh genug merken«, gab der geschwätzige Schuhmacher stets vielsagend zur Antwort, bevor er seine Gesprächspartner einfach stehen ließ, um bei ihnen das soeben Gehörte sacken zu lassen.
Bis auf die Tatsache, dass mittlerweile hinter fast jeder Behausung ein gegerbtes Hasenfell zum Trocknen an die Wand genagelt oder aufgespannt worden war, gab es augenscheinlich nichts Außergewöhnliches im Dorf. Erst als eines Tages ein berittener Kurier so schnell durch das Dorf in Richtung Schloss preschte, dass sogar die lahmen Straßenköter auf die Seite sprangen, nahmen sie hurtig die Kaninchenfelle ab und versteckten sie. Dass es sich um einen Soldaten der Königsegg’schen Stadtwache handelte, konnte man unschwer an dessen Uniform erkennen. Das sich im Kragenpassepoil des gelben Uniformrockes wiederholende Rot der Hose fiel schon von weitem auf.
»Er reitet in einem Höllentempo durch das Dorf in Richtung Schloss. Man könnte meinen, dass der Teufel hinter ihm her ist. Was will er bloß dort oben?«
»Um Gottes willen. Es wird doch nicht schon wieder etwas geschehen sein?«, befürchteten die Menschen, die seit der Pest auf alles, was nicht der Norm entsprach, wesentlich sensibler reagierten, als dies zuvor der Fall gewesen war. Und wenn sich ein Uniformierter blicken ließ, wurden sie umso vorsichtiger.
»Kommt! Wir folgen ihm. Dann wissen wir, was los ist«, schlug der bullige Dorfschmied vor. Er legte seinen Hammer auf den Amboss, entledigte sich seiner schweren Lederschürze und machte sich mit seinem Sohn in Richtung Schloss auf. Während die einen noch in ihre Häuser hineinriefen, um sich abzumelden, folgten die anderen bereits dem Schmied. Es wurden immer mehr Menschen, die sich dem als raubeinig bekannten Handwerker, der sich eigentlich ganz und gar nicht als besonnener Rudelführer eignete,
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