Die Pestspur
diese aufgeregt war, Angst hatte oder Druck verspürte, konnte es sein, dass sie stotterte. Manchmal war dies sogar so schlimm, dass sie nicht mehr verstanden werden konnte und sich erst wieder beruhigen musste, bevor sie in der Lage war, weiterzusprechen. An anderen Tagen stotterte sie trotz großer Aufregung nur ein bisschen, ein anderes Mal ohne erkennbaren Grund. Aber dies tat der guten Beziehung zwischen ihr und den anderen Schlossbewohnern keinen Abbruch – sie verstanden Rosalinde, egal, wie stark sie stotterte. Die brave Magd wurde wegen ihres Fleißes und ihrer Loyalität den Dreylings von Wagrain gegenüber sehr geschätzt und gehörte ebenfalls fast zur Familie.
»Hast du heißes Wasser auf dem Herd stehen?«, fragte Konstanze offensichtlich eine Spur zu schroff.
»Ja, Herrin, d… d… der große Topf u… u… und die beiden Kupfernen. A… a… aber ich h… h… habe sie erst vorhin drauf gestellt. Das Wasser ist b… b… bestimmt noch nicht heiß.«
»Gut! Dann schütt es in den Badezuber«, befahl Konstanze streng, »und setz frisches Wasser auf. Danach wäschst du Diederich … und lass dir dabei Zeit. Ich bereite heute das abendliche Mahl allein zu.«
»Verdammt!«, fluchte Rosalinde still in sich hinein. Sie hatte Rückenschmerzen und erst vorhin zwei Kübel Wasser aus dem Schlossbrunnen geholt. Jetzt musste sie schon wieder los.
»Ist etwas?«, fragte ihre Herrin, die zwar nichts verstanden, dafür aber Rosalindes Knurren vernommen hatte.
»N… n… nein Herrin!«, antwortete die brave Magd eingeschüchtert und machte einen Knicks, bevor sie sich einen der kleineren Töpfe griff, um das darin enthaltene lauwarme Wasser zum hölzernen Badezuber, der in einer separaten kleinen Kammer stand, zu bringen.
Konstanze wusste, dass es Diederich – wenn er erst einmal im warmen Wasser saß – mit dem Waschen nicht eilig hatte. Wie immer würde es ein harter Kampf werden, bis der Kleine freiwillig aus dem Zuber stieg. So hatte Konstanze genügend Zeit, das Abendmahl zu bereiten … und sich zu überlegen, was sie ihrem Mann sagen sollte.
*
Als endlich alle am Tisch saßen, wollte der Kastellan wie immer die Hand des zu seiner Linken sitzenden Sohnes und die Hand seiner rechts neben ihm sitzenden Frau nehmen. Aber Konstanze zog ihre Hand zurück und sagte in Befehlston: »Fasst euch nicht an! Wir beten heute, ohne uns zu berühren.«
Verwundert zogen nun alle ihre Hände zurück und warteten darauf, dass die Mutter die Sache aufklären würde. Aber sie schloss die Augen und sagte nur: »Lasst uns beten.« Nachdem das gemeinsame Gebet gesprochen war, fügte die Mutter leise hinzu: »Lieber Herrgott, bring den kleinen Sohn des Blaufärbers zurück und lass alles gut werden.«
Es blieb so lange still am Tisch, bis der Kastellan verwundert fragte, was denn in Staufen geschehen sei, während er mit Lodewig unterwegs gewesen war.
»Du wirst es nicht glauben«, sagte Konstanze und blickte dabei ihrem Mann tief in die Augen. »Aber die Sache mit Didrik erzähle ich euch später«.
Auch wenn ihre Männer nichts verstanden hatten, wussten sie, dass ihr etwas schwer im Magen lag.
Nach einem Moment absoluter Ruhe, konnte es der Kastellan nicht mehr ertragen. »Und?«, drängte er seine Frau, endlich zu sagen, was los sei.
Nur zögerlich begann Konstanze zu erzählen, was sich auf dem Markt zugetragen hatte.
»Um Gottes willen!«, entfuhr es dem Kastellan. »Und ich war nicht da. Ich muss morgen in aller Früh mit Otto sprechen und danach mit ihm in die Residenz nach Immenstadt, um zu retten, was noch zu retten ist.«
Ulrich Dreyling von Wagrain wusste, dass Oberamtmann Conrad Speen zwar ein überaus korrekter und gerechter Amtsleiter war, bei Ungehorsam der Untertanen aber auf Geheiß des Grafen rigoros durchgreifen musste. Und hier handelte es sich womöglich sogar um den Mord an einem Soldaten der gräflichen Garde. Trotz des Ungeheuerlichen, das der Kastellan soeben erfahren hatte, musste er jetzt schmunzeln.
»Was gibt es da zu lachen?«, knurrte es ihm entgegen.
»Jetzt wird mir alles klar. Ich weiß jetzt, warum wir uns die Hände nicht reichen durften.« Er verkniff sich ein weiteres Schmunzeln.
Konstanze sah ihrem Mann tief in die Augen. In ihrem Blick lagen so viele Fragen, die ihr Mann nun beantworten sollte. »Aber du kannst jetzt auch nichts mehr ändern«, flüsterte sie und senkte den Kopf.
»Du meinst, dass wir uns …«, dabei zeigte er fuchtelnd zwischen ihm und Lodewig hin
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