Die Pestspur
Mann.
»Sei bitte etwas leiser. Die Buben kommen zurück«, bremste der Kastellan seine Frau, die gerade dabei war, in der ihm bestens bekannten Manier aufzubrausen.
Um der ganzen Sache etwas Spannung zu nehmen, unterhielten sie sich noch so lange mit ihren Söhnen, bis Konstanze aufstand, um Diederich zu seiner Lagerstatt zu bringen.
Nachdem auch Lodewig in seine Schlafkammer gegangen und Konstanze wieder zurück war, stellte sie ihrem Mann – wie immer, wenn sie ganz besonders froh war, ihn in ihrer Nähe zu haben – einen Becher des besten Weines hin. Beide schwiegen eine ganze Zeit lang – er nuckelte an seiner Pfeife, und sie betrachtete ihre vom Waschen geröteten Handflächen.
Bevor er etwas sagen konnte, ließ Konstanze ihre Hände unter der Schürze verschwinden und sagte: »Du weißt, was das bedeuten könnte?«
»Du denkst an ein Komplott.« Ulrich schaute seine Frau fragend an.
»Ja! Überleg doch mal.«
»Du meinst, dass nicht nur der Totengräber, sondern auch der Unbekannte vom Kirchhof etwas mit Didriks Verschwinden zu tun haben könnte?«
Konstanze nickte.
»Vielleicht haben sie ihn gemeinsam entführt oder gar umgebracht, weil sie ihn mit unserem Diederich verwechselt haben.«
Ulrich erhob sich, um einen lästigen Strohhalm aus dem Sitzkissen zu ziehen, bemerkte aber nichts dazu.
»Ich darf gar nicht daran denken«, murmelte die besorgte Mutter, der jetzt aus Angst um ihre eigenen Kinder schon wieder ein paar Tränen herunterliefen, leise. Offensichtlich war ihr erst jetzt die ganze Tragweite der Geschehnisse bewusst geworden.
Ihr Mann nahm sie zärtlich in seine starken Arme und tröstete sie: »Alles wird gut! Wir passen auf Diederich jetzt noch besser auf, als dies bisher schon der Fall war … und Lodewig ist alt genug, um auf sich selbst achten zu können. Außerdem werde ich ihn diesbezüglich noch ins Gebet nehmen und ein wachsames Auge auf ihn haben«, versprach er, fügte allerdings mahnend hinzu, dass noch nichts offenkundig, geschweige denn bewiesen sei. Er wusste, wozu seine geliebte Frau in der Lage sein konnte, wenn sie sich und die Ihren bedroht sah. Während er mit einer Hand den Pfeifenkopf ausklopfte, drückte er mit der anderen Konstanze an sich. »Und morgen findet ihr Didrik. – Bestimmt.«
So hofften beide, den Sohn des Blaufärbers doch noch gesund aufzufinden, auch wenn die Zeit zunehmend gegen sie arbeiten würde. Eine eventuelle Verletzung, die Dunkelheit, die Kälte, der Durst, der Hunger … und die wilden Tiere könnten ihm zugesetzt haben und immer noch zusetzen. Dass im Weißachtal erst vor ein paar Tagen eine offensichtlich aggressive Bärin mit ihren Jungen gesichtet worden war, verschwieg der Kastellan lieber. Stattdessen überlegte er, wie er es anstellen konnte, mit Otto nach Immenstadt zu gelangen. »Er hat kein eigenes Pferd«, überlegte er leise und machte sich schon Sorgen darüber, wie das morgige Gespräch in Immenstadt ablaufen würde.
*
»Wo bleibt der Arsch nur? Müsste er nicht längst hier sein?«, maulte der Totengräber, der seit Stunden in der ›Krone‹ auf den Medicus wartete, leise vor sich hin. Er war ungeduldig geworden und wollte eigentlich gehen. Aber dann bekam er mit, was am Nebentisch gesprochen wurde. So wie es aussah, kam ihnen gleich zu Beginn ihres verwerflichen Vorhabens – ohne dass sie selbst etwas dazu beigetragen hatten – der Zufall zu Hilfe. Und dies wollte der Totengräber ausnützen. Er hörte, dass die Frau des Huberbauern mit qualvollen Schmerzen im Bett lag.
»Wie man sagt, hat sie wohl auch Hautrötungen und deswegen Angst, dass es die Pest sein könnte. Darum wollte ihr Mann heute den Medicus holen. Aber der war nicht da«, erzählte ein kleiner Mann, der seine mangelnde Körpergröße offensichtlich durch ein großes Mundwerk auszugleichen suchte.
»Der wird wohl wieder unter irgendeinem Tisch liegen«, mutmaßte ein anderer Zecher mit vielsagendem Grinsen.
»Wenn die Pest tatsächlich nach Staufen kommt, wäre es gut, wenn er nüchtern wäre«, sorgte sich einer, dem der Medicus schon einmal geholfen hatte, indem er ihm einen Holzsplitter aus dem Handballen gezogen und ihn fachgerecht verbunden hatte.
»Noch ist nicht klar, ob die Pest in unserem Dorf ist«, erwiderte ein anderer, bevor er den Becher zum Anstoßen hob und ein derart lautes »Allseitige Gesundheit« in die Runde rief, als würde dies gegen die bösartige Seuche helfen.
Obwohl Markttag gewesen war, wunderte sich der
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