Die Pestspur
nicht bekommen, wenn die Leute gewusst hätten, was ihm widerfahren war. Sie wären ihm allenfalls mit Häme begegnet, und die genügte ihm von seinem einzigen Besucher, auf den er momentan nur allzu gerne verzichten würde. Von Ruland Berging musste er sich jetzt ständig Vorwürfe anhören. Dem waren die erlittenen Schmerzen des Arztes ziemlich egal, er trauerte in erster Linie seinem Pferd nach und beklagte sich fortwährend darüber, dass sie ihren gemeinsam ausgeheckten Plan immer noch nicht umgesetzt hatten. Die Schuld hierfür gab er allein dem Medicus, den er jetzt auch noch auf eigene Kosten mit Schnaps versorgen musste, ohne momentan einen Nutzen für sich zu haben. Da der Totengräber aber wusste, dass er – ob es ihm passte oder nicht – warten musste, bis der Medicus wieder arbeiten und die benötigten Kräutermischungen zusammenstellen konnte, übte er sich mit mehr oder weniger Erfolg in Geduld. Dabei half ihm die Feststellung des Arztes, dass die verbliebenen Pflanzen ausreichten, ihren Plan nach wie vor in die Tat umsetzen zu können. So machte Ruland Berging gute Miene zum bösen Spiel. Hauptsache, sein Kumpan war bald wieder arbeitsfähig. Ob ihm der Schnaps dabei helfen würde, bezweifelte der Totengräber allerdings.
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Als der Medicus eines Tages nach draußen wollte, um zu sehen, was das Wetter machte, war er noch so geschwächt, dass ihn sein Kumpan stützen musste. Genau in diesem Moment kutschierten der Kastellan und Otto vorbei. Hätte Ruland Berging nicht gewusst, dass es in Staufen nur noch ein einziges Pferd gab, seit er seines durch die Schuld des dämlichen Arztes verloren hatte, hätte er die beiden Gestalten auf dem Kutschbock wohl kaum erkannt. Um sich vor dem Regen zu schützen, hatten sich die beiden die Kapuzen ihrer Umhänge weit in die Gesichter gezogen und über Schultern und Knie ölgetränkte Tücher gelegt. Die Männer machten den gleichen betrübten Eindruck wie der stolze Hengst des Kastellans, der sich in seiner Rolle als einfaches Zugpferd sichtlich unwohl fühlte.
»Ja, Otto, nun ist es so weit und du musst vor dem Ausschuss aussagen«, eröffnete der Kastellan das Gespräch.
»Ich habe nichts zu verbergen! Außerdem habe ich vom Tod des Wachsoldaten nichts mitbekommen«, knurrte der Bauersknecht, dem es gar nicht gefallen mochte, bei diesem Sauwetter nach Immenstadt kutschieren und vor den Ausschuss treten zu müssen. »Aber, was sein muss, muss eben sein«, ergänzte er und war sicher, als folgsamer Untertan des Grafen zu Königsegg nur seine Pflicht getan zu haben. Er hatte stets ein gottgefälliges Leben geführt und sich nie etwas zuschulden kommen lassen.
»Ein guter Mensch ist die sicherste Wehr«, gab ihm sein Freund Ulrich schmunzelnd zur Antwort, während er das Gefährt am Bechtelerhof vorbei in Richtung Immenstadt lenkte.
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Im Färberhaus indes war längst tiefe Trauer eingekehrt. Gunda Opser wälzte sich unruhig auf ihrem Lager und weinte sich immer noch die Augen aus, während sich der Blaufärber wie wild in die Arbeit gestürzt hatte. Auf Konstanzes Anraten hin hatte Otward mit seinen Eltern gesprochen und ihnen dadurch den letzten Hoffnungsschimmer auf ein Wiedersehen mit Didrik genommen. Dabei hatte sich der gutmütige, aber einfach gestrickte, junge Mann nicht gerade geschickt angestellt und vergeblich um die passenden Worte gerungen. Was er gesagt hatte, hatte die Eltern wie der Blitz getroffen, obwohl sie sich selbst schon mit dem Gedanken befasst, ihn allerdings immer wieder verdrängt hatten. Dem Vater war es nicht gelungen, sich zu beherrschen; nachdem ihn Otward mit der vermuteten Wahrheit konfrontiert hatte, war ihm die Hand ausgerutscht. Er hatte seinem Sohn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, ihn allerdings sofort schluchzend an sich gedrückt. Seither trauerten der Blaufärber und seine Frau Gunda gemeinsam mit Otward um ihr jüngstes Familienmitglied und mussten lernen, darüber zu sprechen, wenn sie ihr Leid verarbeiten wollten. Dass sich auch Otward in Lebensgefahr befand, konnten sie nicht im Entferntesten ahnen.
»Was sind das für Zeiten? Erst die unglaubliche Nachricht, dass die Pest schon wieder um sich greifen soll, nachdem sie erst vor ein paar Jahren in Immenstadt und in Thalkirchdorf aufgehört hat, die Toten einzusammeln wie das Eichhörnchen die Nüsse. Dann auch noch die schrecklichen Geschehnisse auf dem Marktplatz«, sagte Hannß Opser zu seiner Frau Gunda. Damit vom Verschwinden ihres eigenen Sohnes
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