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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Ihrigen keinen Anlass zur Sorge gab. So aber sprach sich herum, dass es so war und dass es der Medicus gut mit ihnen meinte. Also taten es ihnen andere gleich und konsultierten den fürsorglich erscheinenden Arzt ebenfalls.
    Zwischenzeitlich hatte man den Kesselflicker am Fenster stehen und sogar freundlich herauswinken gesehen: Klar, er konnte nur vom Medicus geheilt worden sein! Dass der alte Mann lediglich aufgrund des Verzehrs von allzu viel Grünkohl an unangenehmen Blähungen gelitten hatte, wussten die Leute nicht. Es war ihm nur deshalb nicht möglich, aus dem Haus zu gehen, weil er über keine zweite Bruche und auch über kein zweites Beinkleid zum Wechseln verfügte. Aufgrund seines selbst auferlegten Hausarrestes war er einer der wenigen, die von der vermeintlichen Pest überhaupt nichts mitbekommen hatten. Aber dies alles wurde aus Angst vor Ansteckung von niemandem hinterfragt.
    »Man hat ihn gesehen, und er ist gesund. Also hat ihn der Medicus von der Pest geheilt.« So brachten es die Staufner auf den Punkt und glaubten auch daran. Dementsprechend begannen die einfachen Bauern und Handwerker zunehmend hysterisch zu reagieren und gaben sich bei Heinrich Schwartz alsbald die Türklinke in die Hand.

    *

    Während immer wieder neue Patienten in Scharen zu ihm kamen, bereitete sich der skrupellose Arzt schon auf den zweiten Besuch seiner ersten Patienten vor. Er wusste, dass sie durch den Genuss des ersten Kräutersudes bereits etwas angeschlagen waren und es nicht lange dauern würde, bis sie davon Kreislaufstörungen, Schwindelanfälle und Krämpfe bekämen. Damit er die zweite Stufe des raffinierten Plans umsetzen könnte, bräuchte er jetzt eigentlich den Totengräber.
    »Kreuzkruzifix! … Wo ist dieses Schwein nur?«, fluchte er. »Soll ich auch noch die Gräber ausheben?«
    Da der Medicus keine Lust hatte, sich allein im Wirtshaus blicken und von allen Seiten anquatschen zu lassen, suchte er verzweifelt nach seiner Notration Schnaps, die er vor Tagen hinter dem Schrank versteckt hatte. Aber er konnte suchen, so lange er mochte, er fand das lederne Behältnis, das ihm vor längerer Zeit ein aus dem katalanischen La Pobla de Montornès stammender Söldner verkauft hatte, nicht. Der Katalane hatte gemerkt, was mit dem Medicus los war und ihm deswegen viel Geld für das starke Gesöff abgenommen – und jetzt war der Lederbeutel mit dem modernen Drehverschluss verschwunden. Aber auch der restliche Obstschnaps des Huberbauern, den er separat versteckt gehabt hatte, war nicht mehr da. Der Medicus wusste nicht, was ihn mehr reuen würde, fände er es nicht mehr: das praktische südländische Reisebehältnis, der schöne Enghalskrug des Huberbauern … oder deren wertvolle Inhalte.
    »Du räudiger Sohn einer Hure!«, schrie er und ballte die Faust, als er erkannte, dass ihm der Totengräber beide Gesöffe entwendet hatte, um seine Trunksucht zu bremsen. Wie ist dieser missgünstige Fiesling nur hinter meine Verstecke gekommen?
    Der Arzt griff zittrig in seine Tasche, um seinen Geldbeutel herauszufischen und nachzusehen, ob er sich doch noch für einen Besuch in der ›Krone‹ entscheiden konnte. Aber so oft er den Geldbeutel drehte und wendete, er fand nicht einmal einen Kreuzer darin. Und das bisschen Geld, das er bisher mit seinen Patienten verdient hatte, traute er sich nun doch nicht zu versaufen. Dazu hatte er viel zu viel Angst vor dem Totengräber. Als sich der Medicus damit abgefunden hatte, vorläufig abstinent bleiben zu müssen, entschloss er sich, die Zeit zu nutzen und Stufe zwei des Plans ohne den Totengräber vorzubereiten. Zittrig räumte er wieder seinen Behandlungstisch frei und holte die bereits vorbereiteten Kräutermischungen aus dem Schrank hervor. Als die fertig zerkleinerten und fein zerstampften Blätter, Stängel, Knollen und Wurzeln übersichtlich angeordnet auf dem Tisch lagen, grinste er zufrieden, daran denkend, dass jeder Patient zwar etwas anders, aber in seinem Sinne, reagieren würde. Aber eines werden sie gemeinsam haben: Allen wird es sehr schlecht gehen, dachte er hämisch grinsend und griff noch einmal in den Schrank, um ein linnenes Tuch hervorzuholen, dessen vier Enden zu einem Knoten zusammengeknüpft waren. Als er das Bündel geöffnet hatte, gab es einen wertvollen Schatz frei. In fast andächtiger Stille murmelte er: »Meine Lieblinge.«
    Vor ihm lagen Stengel des Eisenhutes, deren wichtigster Wirkstoff das Aconitin war – ein tödliches Gift. In ausreichender

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