Die Pestspur
sich verabschiedeten und auseinander gingen.
Während die Dreylings von Wagrain zum Schloss hoch liefen, dachte Konstanze daran, sofort zu den Blaufärbern zu gehen, um sich zu vergewissern, dass Otward noch am Leben war. Aber ich kann Diederich jetzt nicht allein lassen. Ich muss warten, bis Ulrich aus Immenstadt zurück ist, bremste sie ihr Vorhaben.
Kapitel 27
Burgi, die Frau des Rotgerbers, hatte dem Medicus noch am selben Tag, an dem ihr Mann in Behandlung war, den halben Gulden vorbeigebracht und somit das Arzthonorar korrekt entrichtet, hatte aber anstatt des erwarteten Dankes für die prompte Bezahlung einen Anschiss in Kauf nehmen müssen. Obwohl dem Medicus eigentlich klar gewesen sein musste, dass die armen Leute keinen Silberling haben konnten, hatte er sich über seine Entlohnung in Form einer ganzen Handvoll Kreuzer und Heller geärgert. Dennoch hatte es die eingeschüchterte Frau – genau wie es der Medicus vorausgesehen hatte – nicht versäumt, allen Leuten, denen sie auf dem Weg zum Propsteigebäude begegnet war, zu erzählen, dass der selbstlose Arzt ihren kranken Mann kostenlos behandelt hatte und eigentlich überhaupt kein Geld habe annehmen wollen. Ihr Mann habe dem Arzt aber für die teuren Kräuter aus freiem Willen heraus einen halben Gulden gegeben. Da sie wegen der Angst vor Ansteckung nur wenige Leute auf der Straße angetroffen hatte, war sie zu den am Wegesrand liegenden Häusern hingegangen und hatte geklopft, um ihre Botschaft durch geschlossene Türen zu übermitteln. Denn sie hatte auch überall erzählen wollen, dass es ihrem Mann außerordentlich schlecht gehe und er voraussichtlich nur überleben werde, wenn es nicht die Pest sei. Dass sich ihr Mann den Besuch beim Medicus und damit das viele Geld hätte sparen können, hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, da er erst in der darauffolgenden Nacht verstorben war. Auf einem Hocker neben seiner Lagerstatt stand noch der Rest des Kräutersudes, den er nicht einmal ganz ausgetrunken hatte. Das gebrauchte Beutelchen hatte die Frau gleich entsorgt – so wie es der Medicus ihrem Mann aufgetragen hatte.
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Dass die Frau des Rotgerbers die Trommel für den Medicus gerührt hatte, zeitigte das erwünschte Ergebnis, denn ab jetzt ging es Schlag auf Schlag. Die Menschen gaben sich beim Medicus täglich die Klinke in die Hände. Denjenigen, die zum ersten Mal zu ihm kamen, verabreichte er die krankmachende Kräutermixtur. Denjenigen, die ihn schon zum zweiten Mal konsultierten, knöpfte er zuerst das Geld ab, bevor er ihnen die tödliche Dosis mitgab. Während die Menschen der Reihe nach erkrankten, starben nach dem Rotgerber schon die nächsten an der vermeintlichen Pest. Da in immer mehr Häusern tote Familienmitglieder zu beklagen waren, glaubten längst alle an den stillen Tod in Form der Pestilenz. Der Medicus verstand es geschickt, seinen Patienten immer neue Krankheitsgeschichten zu erzählen und es so hinzudrehen, dass ihm jetzt die Menschen für das Risiko, dass er selbst von der Pest angesteckt werden könnte, anstatt eines halben Guldens freiwillig das Doppelte bezahlten … sofern sie dies vermochten. Damit nicht jeder gleich sterben würde, der zum zweiten Mal bei ihm zur ›Behandlung‹ war, verabreichte er zwischendurch eine völlig harmlose Sudmischung, die er aus ordinärem Wiesengewächs, das direkt hinter dem Propsteigebäude wucherte, hergestellt hatte. Um es noch unauffälliger aussehen zu lassen, übergab er denjenigen, von denen er wusste, dass sie nicht ganz so arm waren wie die meisten, sogar ausschließlich der Gesundheit zuträgliche Kräutermischungen aus Pfefferminze, Kamille, Salbei und anderen Heilpflanzen. Ganz nebenbei hielt er sich dadurch die Option offen, dass Patienten, die über etwas Geld verfügten, ein drittes Mal zu ihm kämen … und ein drittes Mal bezahlten, bevor auch sie sterben würden. Allen aber empfahl er, die gebrauchten Beutelchen entweder im Abort zu entsorgen oder falls – wie in den meisten Fällen – kein hausinterner Abtritt zur Verfügung stand, tief im Misthaufen oder in der Erde einzugraben. Kaum jemand fragte nach dem Sinn dieser Anordnung. Er wird schon wissen, warum, dachten sie und wären nie im Leben darauf gekommen, dass sie dadurch wichtiges Beweismaterial vernichteten.
*
Momentan sterben genügend Leute, dachte der berechnende Arzt, der nicht mehr wusste, wer sie jetzt – da der Totengräber spurlos und aus seiner Sicht, grundlos,
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